Ich sag immer jeder, der die 50 überschritten hat, soll sein Leben auf 50 Seiten aufschreiben. Weil ich mich nicht lumpen lassen wollte, wie man so schön im Deutschen sagt, habe ich auch gleich damit angefangen. Noch fehlen ein paar Seiten, aber warum nicht schon mal das, was ich habe, öffentlich stellen. Viel Spaß beim Lesen!
Liebe Freunde! Da ich ja den Vorschlag gemacht habe, dass jeder Mensch, sobald er die 50 (an Jahren) überschirtten hat, einen ersten Bericht ablegen soll, so will ich mich nicht drücken! Es muß ja sein! Was wollen wir verabreden? Anderthalbzeilig, 12-Punkt-Schrift, 50 DIN-A-4-Seiten, mit „normalen“ Seitenrändern? Das wäre doch nicht dumm, dann hätte man – für die ganz Schematischen unter euch – pro Jahr eine Seite. Das wäre vielleicht wirklich sowieso eine schöne Schreibhilfe. Nun ja, aber nicht jeder hat jahresgenaue Aufzeichnungen.
Machen wir es so: Ich schreib es erst mal runter, und dann könnt ihr ja dazu was sagen.
Ja natürlich ist der Beginn wahrscheinlich für jeden am schwierigsten. Ach, ich mache es mir einfach und stütze mich erst einmal auf die Fakten. Ich kam am 31. Oktober 1957 zur Welt. Was da sonst noch passierte, das müßt ihr jetzt schon selber googeln. Meine Mutter war völlig begeistert von dieser Geburt und sagte quasi „Ach so, so schön kann eine Geburt sein?!“ – Nun ja, ich war ja auch die Dritte, die durch ihre Pforte in die Welt rutschte, und da sagen viele, die dritte Geburt ist leicht. Bei mir war es übrigens auch so, ich gebar ja am 20. April 1998 Charlotte (nach zwei Fehlgeburten), dann 1999 am 15. August den kleinen Magnus, der nach acht Wochen am 13. Oktober 1999 unsere Welt wieder verließ (plötzlicher Kindstod), und dann 2002, nach langem Warten und Hoffen – und einer weiteren Fehlgeburt kurz nach dem Tod von Magnus –, Dorothea, am 18. November 2002. Auch die Geburt von Dorothea, der „Dritten“, war viel leichter und kürzer und angenehmer als alles vorher.
Zu meiner Geburt selbst ist zu sagen, es war eine Hausgeburt um ca. 14.00 Uhr in Backnang. Ich selbst kenne diesen Ort Backnang in Baden-Württemberg überhaupt nicht, niemals im „Leben“ bin ich dort mal ausgestiegen oder habe mir gar unsere damalige Adresse (die ich erst mühsam heraussuchen müßte) aufgesucht. Ich weiß aber aus der handschriftlichen Aufzeichnung meines Vaters – in hübscher, zarter, rechts-schräger Schrift – daß an diesem Tage meine Schwester Ulrike (sie war ja erst zweieinhalb Jahre) wohl mit dem Roller die Straße runtergedüst ist und mein Vater sie mühsam einfangen mußte. Das war eine Aufregung!
Wie üblich war eine Hebamme zur Stelle, und meine Mutter erzählte mir später, daß die Hebammen damals in der Regel nicht viel machten, sondern besonders auf eine ordentliche Verpflegung mit Brötchen und Kaffee warteten. Liebe Hebammen dieser Welt und dieses Landes, bitte verzeiht mir diese Erinnerung, aber ich gebe nur das wieder, was meine Mutter mir erzählte. Sie hätten es in der Regel dann auch eilig gehabt, wieder davonzukommen …
Meine Mutter hatte im Februar 1955 meine Schwester Ulrike zur Welt gebracht und im April 1956 meinen Bruder Hartwig, also fleißig fleißig verlief die Kinderproduktion, auch ohne jede Fehlgeburt. Daran sieht man, daß die beiden Eheleute sich wohl wirklich liebten, denn die meisten Fehlgeburten sind Chromosomenstörungen aufgrund von nicht ganz passenden Immunsystemen. Wissenschaftler sagen, die Immunsysteme sollten sich quasi wie ein Zahnrad ergänzen, also nicht gleich sein, sondern sogar oppositionell und insofern ineinander passend wie ein Steckspiel …
Ja, das glaube ich auch, daß die beiden sich liebten, sie waren an sich unerfahren, und mir scheint, daß mein Vater schüchtern war – und dann froh, so eine schöne und liebe Frau gefunden zu haben. Er hat sie angeblich wirklich auf einer Wiese mit Margeriten entdeckt, beide waren in den hungrigen Nachkriegsjahren mit Fahrrädern (unabhängig voneinander) (oder vielleicht mein Vater damals schon mit der Vespa, das weiß ich nicht) unterwegs. Meine Mutter hatte, mit Fahrrad suchend durch Deutschland fahrend, eine Stellung als OP-Schwester in Tübingen gefunden, mein Vater Hans war wohl noch in der Ausbildung am Technikum Reutlingen, das ist so eine Art Fachhochschule für technische Berufe, dort war er im Fach Textiltechnik angemeldet. Er selbst hatte Zimmermann werden wollen oder Tischler, aber seine Mutter, unsere Omi Feilicitas Ahme hatte ihm das ausgeredet. Da könne man kein Geld verdienen. Also machte er diese eher ein bißchen ungeliebte Ausbildung. Jedenfalls, irgendwie müssen sie sich wirklich auf dieser Wiese getroffen haben und gespürt haben, daß sie gemeinsam durchs Leben gehen wollen oder können. Sie machten dann auch noch die eine oder andere Tour mit der „Vespa“, davon gibt es kleine Schwarz-Weiß-Fotos. Sie siedelten sich dann in diesem Bereich an: Reutlingen, Ehingen, Maubach, Backnang. Ich weiß nicht einmal, wann die Heirat war, peinlich. Ulrike kam wohl in Reutlingen zur Welt, Hartwig in Ehingen. Auf den Fotos rund um meine Geburt sieht man eher neu gebaute Häuser und Garten, ich habe keine Ahnung von den Räumlichkeiten in Backnang.
Nun, in Backnang waren wir Kinder also nun schon zu dritt, und es dürfte die Zeit gewesen sein, wo die Ausbildung meines Vaters in Reutlingen zu Ende gegangen war. Er war nun Textiltechniker, die Grundlage für eine Laufbahn im mittleren Management in der deutschen Textilindustrie, und da fand er eine passende Stelle in WOLFSTEIN in der Pfalz. Dort sitzt nämlich eine der größten deutschen Textil-Pflaster- und Binden-Hersteller, in Wolfstein wird sie die Firma „Braun“ genannt, und soweit ich weiß ist sie in Deutschland unter dem Label „Hartmann“ bekannt. Jedenfalls „die Brauns“ waren also die reichsten Leute am Ort und hatten einen modernen Bungalow am Hügel, zu dem man aber fast nie hinein ging (ich erinnere mich dunkel, daß ich dennoch ein, zwei mal im Haus war), sondern respektvoll immer nur bis zur Hof-Einfahrt. Der Junge von diesen Brauns, Gerhard Braun, war aber glaube ich in meiner Grundschule (ich kann mich irren), und später waren wir gemeinsam Fahrschüler nach Meisenheim zum Paul-Schneider-Gymnasium. Ich kann mit WIRKLICH IRREN, aber ich erinnere mich, daß wir als Kinder drüber sprachen, zu heiraten, also ich habe es so in Erinnerung, daß er mir einen HEIRATSANTRAG machte, aber ich wollte nicht. Ich war damals schon so für Weltgerechtigkeit und für die Armen und für die Indianer und so weiter und gegen die Fabriken, gegen rauchende Schlote, gegen Schmutz und Gift im Wasser … Im Sommer gingen meine Schwester Ulrike und ich nämlich immer in den Wald – wir waren dort von morgens um 5.00 Uhr bis spät in den Abend – und WAREN Indianer. D. h. wir waren dementsprechend angezogen und – natürlich alles selbstgenäht und selbstgebastelt – ausgestattet. Wir sprachen auch so miteinander, natürlich war Ulrike Winnetou und ich war N-Tschotschi. Wir sprachen einander in der dritten Person an und halt wie im Film. Wir hatten damals ein Kino in dem kleinen Städtchen, das Kino lag an einer kleinen Bergstraße, und Sonntags durften wir Kinder eine Zeitlang ins Kino gehen, das ging so ein, zwei Jahre lang. Da wurden auch Western gezeigt, bei denen es zu großen Prügeleien kam, und der ganze Kinsoaal brach bei fast allen Faustschlägen in ein riesiges Lachen aus, das habe ich überhaupt nicht verstanden und fand das überhaupt nicht lustig. Diese Western wollte ich dann auch nicht mehr sehen. Aber die Indianerfilme waren unser ein und alles, obwohl wir von Anfang an wußten, daß Winnetou am Ende sterben wird, wir sprachen fast nur davon.
Wir hatten dann auch einen regelrechten Indianerclub, wo wir Federschmuck fertigten und Tabaksbeutel aus Lederresten, die wir vom Sattler im „Dorf“ bekamen. Das war eine wirklich schöne Zeit. Den Indianerclub betrieben wir unten in einem Raum in unserem 1964 in Wolfstein fertiggestellten Haus, der schön und beheizt war, aber neben dem Keller lag. Sehr viel später war das Ulrikes Jugendzimmer, aber bis dahin hatten wir ein gemeinsames Zimmer, ein Bett links, ein Bett rechts, im ersten Obergeschoß.
Das Haus hatte in viel Eigenarbeit noch mein Vater gebaut, es war einfach, aber stabil und besaß im Keller nur einen Öltank, in den einzelnen Zimmern Ölöfen, in die man mit einer Ölkanne das Öl einfüllen mußte. Das war also ein bescheidenes Haus, aber es war Eigentum, und ich erinnere mich daran, daß man damals sagte „Haus oder Auto“, wir hatten uns also für „Haus“ entschieden. Sowieso wollte mein Vater gar nicht gerne Auto fahren, und wir Kinder, jedenfalls Ulrike und ich, wir haßten es auch, es stank, und wir mußten uns oft übergeben … Wir hatten ganz kurze Zeit ein Auto, und ich erinnere mich an einen einzigen Ausflug, und dann verschwand dieses Auto aus unserem Lebenskreis.
Mein Vater starb schon 1965, also ein Jahr, nachdem das Haus fertig war. Und in dem selben Jahr, wo das Haus fertig geworden war, 1964, kam auch noch als „Nachzügler“ mein „kleiner“ Bruder Markus zur Welt, ein Sonnenkind, riesig groß schon bei der Geburt und immer lächelnd. Aber da war mein Vater schon an Lungenkrebs erkrankt, er starb 1965 mit nur 38 Jahren. Er hatte nie geraucht und getrunken, er hielt sich von solchen Dingen ganz fern und war nur am Wandern interessiert, mit den größeren Kindern Ulrike und Hartwig hatte er auch so manche Holzarbeiten gefertigt, im Keller stand eine regelrechte Profi-Hobel- und Montagebank, und da gab es auch jede Menge gut aufgeräumte Holzwerkzeuge … Von der Arbeit am Haus selbst weiß ich nicht mehr viel, ich war damals ja noch klein. Bis zum Umzug in das eigene Haus wohnten wir in einer Mietwohnung in der Hauptstraße. Diese hatte kein richtiges Badezimmer, die Kinder wurden in einer Zinnwanne gewaschen, davon gibt es Fotos. Hinter diesem Haus war eine Hühnerwiese, und unsere Nachbarn waren frühere Bauern, die noch ein paar Tiere hatten, da hatten wir viel Berührung mit Hühnern, Hühnerdreck, Katzen … Jeden Abend mußten wir Kinder Milch holen gehen, in Blechkannen, bestimmt auch schon damals, als wir noch in der Hauptstraße wohnten, aber daran kann ich mich kaum mehr erinnern.
Das neue Haus hatte die Adresse „Am Eisenknopf 8“, und auch von daher habe ich mir die „8“ zur Glückszahl ausgesucht, sie begleitet mich recht nett durchs Leben. Die sieben gebiert ja die acht, und daher habe ich auch die sieben (die mehr zu Helmut gehört) (aber auch mein Geburtsjahr ist, 1957) in mein Leben integriert.
Diese Straße „Am Eisenknopf“ wurde von der Gemeinde hergerichtet für die „vielen“ zugezogenen leitenden Angestellten. Die leitenden Angestellten in dieser Fabrik waren fast alle von außerhalb und bauten sich hier mittlere bis größere Häuser, unser Haus war sicherlich eines der bescheidensten oder DAS bescheidenste in dieser Klasse. Unsere Nachbarn hießen Gaydoul, und der Vater arbeitete ebenfalls in dieser Fabrik. Alle diese leitenden Angestellten hatten auch Patente entwickelt und waren irgendwie bedeutend, besonders ein etwas entfernterer Mann, dessen Sohn Wolfgang hieß. Von dessen Vater (hieß er auch Wolfgang???) hieß es immer in „heißen Gerüchten“, daß er SEHR VIELE Patente habe und deswegen ein reicher Mann sei … Nichts genaues wußten wir Kinder aber davon …
Auf unserer Straße gab es so gut wie gar keinen Verkehr, und wir Kinder und Nachbarskinder hatten hier wirklich ein tolles Paradies. Unbebaute Grundstücke, eine Wildnis „im Grund“ (da war so ein Gelände-Abfall zur Bahn hin), einen verfallenen Pavillon, eine Eisenbahn mit Tunnel vor der Türe (auf dem Tunnelmund saßen wir Kinder oft lebensgefährdet und ließen die Beine baumeln, spuckten den Zügen von oben aufs Dach). Hinter dem Haus ging steil der „Eisenknopf“ in die Höhe, eine kleine Erhebung des Berg-Ensembles „Königsberg“, der ganz für uns Kinder da war und der gefühlt zu unserem Eigentum zählte … Wir waren hier immer vollkommen unkontrolliert und frei unterwegs, im Grunde immer lebensgefährdet, aber wir haben alle überlebt, und mir ist jetzt auch gerade kein größerer tödlicher Unfall von Kindern in der Umgegend geläufig …
Wenn wir im Sommer Indianer waren, gab es eine andere Gruppe aus dem Dorf, das waren die bösen Jungs aus der „Obergasse“. Ganz wie bei Degenhardt, „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“. Einmal waren wir an einem Teich am gegenüberliegenden Hang, ein Feuerlöschteich, er hatte einen bestimmten Namen, auf den ich gerade nicht komme, am Ende mit „-weiher“, ach so ja, „Brandweiher“. Dort trafen wir diese Jungs, wie sie Frösche aufbliesen und töteten. Das hat mich zutiefst erschreckt ich lief ganz schrecklich schreiend davon und fühle mich bis heute davon traumatisiert. Es steckte mir richtiggehend in den Knochen und niemals mochte ich daran zurückdenken oder so etwas noch einmal sehen …
Eine andere Traumatisierung geschah mir mit meinem Schneemann: Ich hatte einen wirklich wundervollen Schneemann gebaut, ich war aber die jüngste, kleinste und langsamste in der Kinder-Runde. Man veralberte mich mit dem bösen Wort „Watschelkrott, Watschelkrott!“, weil ich so langsam und vielleicht auch ein bißchen pummelig war. Nun hatte ich also einen wundervollen Schneemann gebaut (ich war gefühlt fünf Jahre, aber das stimmt nicht, denn das Haus war ja m. E. erst 1964 fertig geworden, also muß ich mindestens sieben Jahre alt gewesen sein). Die von mir endlos als „sportlich, quasi ‚Frau von Welt‘ “ bewunderte Tina Gaydoul (braune, starke, glatte Haare mit Pony), ein etwas älteres Nachbarskind (wohl im Alter von Ulrike, geboren 1955), hat mir aus purer Zertörungslust diesen Schneemann zerstört. Ich war am BODEN!!! Nie wieder ist mir in meinem Leben so etwas Schreckliches passiert. Ich konnte überhaupt nicht den Grund verstehen. Ich war in meinem Innersten zerstört und verletzt. Das war grausam. Und ich behaupte, für Kinder spielt es gar keine Rolle, ob „so etwas Harmloses“ oder ein Bombenangriff aufs eigene Haus passiert: Entscheidend ist das Erleben IM Kind, und für mich ist diese Zertörung meines schönen Werks ein echtes Trauma, welches mir bis heute nachhängt und nachklingt. Macht es sich bis heute irgendwie einschränkend bemerkbar? Das weiß ich nicht. „Wer hat mein Lied so zerstört, Ma?“ – Das ist vielleicht die adäq uate Frage, und viele Menschen sind ja empfindlich hinsichtlich der Kritik ihrer Werke oder ihrer Taten. Ich will mich also nicht festlegen, ob ich aufgrund dieses zerstörten Schneemanns BESONDERS empfindlich bin gegenüber Kritik, ich glaube für alle Menschen ist Kritik viel schwieriger zu verarbeiten als bis heute immer noch gemeinhin es hingestellt wird. Heutiges Fachwissen geht in die Richtung: „Niemals kritisieren, bevor nicht 9 Lobe vorher erfolgt sind“ – Also eine vorsichtige, rein sachlich begründete Kritik wird für möglich und „verdaubar“ oder „annehmbar“ gehalten, wenn vorher DIE SELBE PERSON von DER SELBEN Person neun Mal gelobt wurde … In der Summe bedeutet das, aufgrund moderner Forschungen: Menschen mögen keine Kritik! Will sagen: Ich bin da keine Ausnahme, kein Sonderfall, sondern eigentlich das Normale. Menschen brauchen viel mehr Anerkennung, Lob, Bewunderung als Kritik. Eine Studie mit Managern (ich sage dazu die LATZ-Studie) ist mir das Wichtigste im Leben geworden: Eine Gruppe von Managern wurde in zwei Hälften geteilt. Die eine Hälfte bekam ab sofort ganz viel LATZ (nach den Anfangsbuchstaben gebildet) =) Lob, Anerkennung, Trost und Zuspruch. Jawohl, diese vier, nicht mehr, und nicht weniger. Ergebnis war, daß die mit viel LATZ versorgte Gruppe NULL burnout, Depressionen etc. ausgeprägt hat, und die Pendant-Gruppe, die „einfach so weiterlebte wie bisher“ genau in dem Maße burnouts und Depressionen entwickelte, wie der damalige Landesdurchschnitt gewesen ist. Die „Arbeitsbelastung“ in beiden Gruppen ist dabei vollkommen unverändert geblieben. Was lernen wir daraus?: Wir alle sind sehr angewiesen auf viel Lob, Anerkennung, Trost und Zuspruch von unseren Mitmenschen, wir können uns das nicht alleine geben, wir Menschen sind soziale Wesen, die sich gegenseitig helfen müssen. Wenn sie das nicht tun, entwickelt eben ein nicht kleiner Teil der Menschen burnouts, Depressionen und andere psychische Krankheiten … Heute ist dieses Wissen in den Betrieben theoretisch angekommen, wird aber in Deutschland nur sehr zögerlich auch wirklich umgesetzt. Es gilt aber als „herrschende Meinung der Wissenschaft“ und wird nicht mehr angefochten.
Ich gehe zurück zum Ausgangspunkt, meine Geburt und Kindheit und überlege, was mir noch erinnerlich ist. Als ich eingeschult wurde, fühlte ich mich irgendwie ein ganz kleines bißchen einsam, weil rundherum große Familien waren und ich nur meiner Mammi. Aber es war ganz o. k. – Allerdings hatte ich so doofe Strumpfhosen an, die über den Knöcheln so Falten warfen, das war ein doofes Gefühl, sie waren auch zu dick … Unsere Schule war ein NEUBAU!!!! Aber die erste Klasse, daran erinnere ich mich nur noch dunkel, verbrachte ich noch im Altbau am Markt. Dort war der Boden aus Holz, und man konnte in den Brettern bohren, darunter war Sand. Da hatte ich einen kleinen Ranzen aus Schweinsleder und eine Schiefertafel, ganz wie es im Ursprung war. Und an der Tafel standen die Buchstaben in weißer Kreide. Unsere Lehrerin hieß Fräulein Scheidt, und sie war natürlich voll begeistert von mir, weil ich schon alles wußte und immer meinen Finger streckte. Ich weiß noch, daß ich damals überlegt habe, wie ich es schaffen könnte, mich in der gleichen Sekunde ZWEI MAL zu melden. Ich wollte IMMER antworten und mitmachen, mich hat es schier vom Stuhl gehauen weil ich immer mitmachen wollte. Ich habe mich auch immer mit zwei Armen gemeldet, um dranzukommen.
Später gingen wir dann in den Neubau oben am Berg. Es war ein richtig schicker 60er-Jahre-Bau, ich glaube es gab damals ein großes Schulbauprogramm. Wir hatten sogar ein großes Schwimmbad und eine riesige Aula, in der dann auch die Fasenachts-Sitzungen (das hieß irgendwie so wie „Tuntenball“ oder so ähnlich) stattfanden. Wir hatten damals KURZSCHULJAHR, ich weiß nicht mehr aus welchem Grund, jedenfalls wurde die dritte und vierte Klasse zu einem einzigen Jahr zusammengezogen. Und so hatte ich schnell meine vier Grundschuljahre beisammen, dann hieß es schon Abschied nehmen. Das fand ich ganz schrecklich, denn ich war doch mit vielen in meiner Klasse und meinem Ort befreundet. Meine Handarbeitslehrerin, Frau Matzenbacher, sorgte dafür, daß ich, weil ich ein so besonders begabtes Kind war, in letzter Sekunde nicht nach Lauterecken in das nächste „Dorfgymnasium“ kam, sondern nach Meisenheim ins Paul-Schneider-Gymnasium, das als etwas „Besseres“ zählte. Ich aber war vorwiegend traurig, daß ich meine Freundin Marliese und andere verlassen sollte, die Tochter des Schuhmachers und und und. Meine Anmeldung nach Meisenheim geschah über einen kleinen hellroten Notizzettel, auf dem Frau Matzenbacher notiert hatte, was ich für eine tolle Schülerin sei, und daß es für das Paul-Schneider-Gymnasium sogar ein Verlust wäre, mich nicht zu bekommen. Mit diesem Zettel ist meine Mutter mit mir dorthin gefahren und hat ihn im Sekretariat abgegeben. Es wurde auf dem Zettel notiert, daß ich als 46.ste Schülerin der Klasse aufgenommen werden soll, weil man der Einschätzung zustimme. Wir waren damals die geburtenstarken Jahrgänge, und die Klassen platzten nur so vor lauter Kindern. Wir, meine Mammi und ich, haben wohl auch kurz dem Direktor, der Rosenboom hieß und vielleicht ein jüdisches NS-Opfer war (?????), kurz ins Auge geblickt, und er wollte auch, daß ich an die Schule komme. Dieser Direktor Rosenboom war ein großer Ruder-Fan und Sport-Fan, und er hatte dafür gesorgt, daß die alte Lateinschule, die in Meisenheim am Ort und direkt an der original alten gotischen Kirche (fast eine Kathedrale, mit durchbrochenem Turmdach …) war, auch einen schicken Neubau, ein wenig abgetreppt am Hang liegend, bekommen hatte, und sich in eine sportbetonte Schule verwandelt hatte. Wir hatten dort jeden Tag eine Stunde (mindestens) Sport, eine sehr, sehr sinnvolle Sache, wie ich finde, die selbstverständlich sein sollte, an allen Schulen, in allen Jahrgangsstufen … So war ja die Schule bei den Griechen überhaupt entstanden und hatte ihren Namen bekommen: Gymnasium. Das bezeichnete eine Anstalt, in der die griechischen Jünglinge nackt (gymnos = nackt) ihre Körperübungen machten … Das mit der Sportbetonung ging allerdings einher mit einer gewissen Überbewertung der sportlichen Anforderungen, und auch mit einer Überbetonung von bestimmten, athletischen Sportarten und einer Mißachtung von anderen Leistungen … Jedenfalls: In fast allen Fächern war ich immer gut und sehr gut und hatte immer sehr gute Zeugnisse und Noten, nicht aber in Sport. Das war ein bißchen ungerecht, denn ich war zum Beispiel eine unglaublich ausdauernde Schwimmerin, die ALLE Kinder der ganzen Schule inkl. der Oberschüler an Ausdauer übertraf, aber das zählte überhaupt nicht. Natürlich hatten wir auch ein großes, wettkampftaugliches Schwimmbad.
Ach so, zurück zum Schwimmbad in der Grundschule. Eben die gleiche Frau Matzenbacher, unsere Handarbeitslehrerin, hatte eine total geniale Eingebung, uns unsere Körperscham gleich beim ersten Mal komplett auszutreiben. Wir drucksten rum, ich selbst glaube ich weniger, weil ich wenig Scham empfinde, aber die anderen Mädchen glucksten und zierten sich, da kam sie angefegt und hat uns zack zack zack allen die Unterhosen und alles ganz schnell runtergezogen und dazu lustig erklärt „Hier wird niemandem etwas weggeguckt, los zack zack zum Duschen und dann weiter …“. Es war wirklich vollkommen gut und lösend was sie gemacht hat und überhaupt nicht übergriffig oder verkehrt. Seitdem war alle Scham oder Gluckserei wie weggeblasen, und wir Mädchen zogen uns ganz selbstverständlich voreinander aus … So blieb es meiner Erinnerung nach auch im Gymnasium … Es gab vor und unter den Duschen eine große Selbstverständlichkeit der Nacktheit.
Je nun, viel mehr ist mir aus der Grundschule auch nicht mehr erinnerlich. Meine Lehrerein Fräulein Scheidt liebte mich über alle Maßen. Da ich immer alles sowieso wußte, meldete ich mich IMMER, auch bald rein gewohnheitsmäßig. Plötzlich kam ein Punkt (in Rechnen), wo ich DOCH nicht mehr auf mein mir selbst zusammengesammeltes Vorwissen zurückgreifen konnte. Da erlebte ich zum ersten Mal in meinem Leben, daß ich etwas nicht weiß, ich hatte das vorher gar nicht für möglich gehalten. Das war nun doch neu und fast verwirrend für mich kleines Kind …
Ach so, eine Sache weiß ich noch: In den Pausen spielte ich immer mit den Jungs. Mit den Mädchen-Sachen konnte ich wohl nicht so viel anfangen. Aber ich kann mich an fast keine Kinder in meiner Klasse wirklich erinnern, außer einen Jungen, dessen Namen ich so exotisch fand: Harry. Selbst an Udo Münch – verzeih, lieber Udo!!! – kann ich mich schulisch gesehen fast gar nicht erinnern.
Nicht viel anders ergeht es mir mit den Schulerlebnissen in Meisenheim, die insgesamt eher blaß sind, aber natürlich nicht so verblaßt wie die Grundschule. Meisenheim war ein Internatsgymnasium, und da gab es 3 Klassen von Schülern: Die erste und wichtigste und tollste Klasse waren die Internatsschüler, die zweite Klasse von Schülern waren die Stadtschüler, und die dritte Klasse, also die letzten, das waren wir, wir Fahrschüler. Diese teilten sich noch einmal in zwei Klassen: Die ganz doofen waren die aus den Dörfern, und die nicht ganz so doofen waren die aus den kleinen Städten aus der Umgegend. Also immerhin, weil Rudolf von Habsburg unserem Dörfchen Wolfstein im Jahr 1275 die Stadtrechte verliehen hatte, hatte ich wenigstens diesen Vorteil, aus einer „Stadt“ zu kommen und nicht aus einem Dorf …
Wir fuhren mit der Bahn in die Schule, mit einmal umsteigen in Lauterecken. In den Zügen machten wir schnell unsere Hausaufgaben, wenn überhaupt. Ich habe in meinem ganzen Meisenheim-Leben nicht einmal „ordentlich“ zuhause Hausaufgaben gemacht. Ich konnte immer alles im Unterricht aufsaugen und brauchte mich dann zuhause nicht zu quälen. Ich habe allerdings keine Ahnung, was ich dann mit meiner „freien Zeit“ am Nachmittag gemacht habe …
Nun ja wenn ich überlege, fällt mir schon etwas ein: Vor unserem Haus gab es noch aus der Bauzeit einen riesigen Haufen Sand. Da bauten wir je nach Wetter die tollsten Tunnel und Straßen und fuhren darauf mit unseren kleinen Emaille- und Plastik-Autos herum, transportierten wohl auch Sachen … Und wie ich schon sagte, streiften wir einfach „ziellos“ durch die Gärten, dabei wild schwadronierend von Königreichen, Abenteuern und so weiter. Und es gab auch eine lange, lange Märklin-Zeit, wo wir jede Mark Taschengeld in einen neuen Waggon oder eine Weiche, Schiene und manchmal gar eine Lok investierten, es gab da in Lauerecken ein Geschäft, wo man das bekam … Das war eine endlose Geschichte, die uns natürlich extrem lange in Beschäftigung hielt. Da mußten Hügel geformt werden, Wiesen drapiert, Bäume gepflanzt, Schilder gemalt, Häuser von Faller zusammengesetzt werden und und und. An dieses Spiel erinnere ich mich als ein sehr ruhiges und fríedliches Spiel ohne Streit.
Unsere Häuslichkeit war geprägt vom abendlichen Sitzen am Eßzimmertisch. Es gab zwar immer nur vollkommen unspektakuläres „Abendbrot“ – das waren zwei Schnitten mit Belag, und mindestens einmal pro Woche – das war Gesetz! – waren diese nur mit Schmalz beschmiert (igittigitt), und mindestens einmal pro Woche – das war auch Gesetz! – mit so einer Art zu Brei verarbeitetem Brathering belegt. Grrrrr. Ach so, und jeden Tag oder jedenfalls sehr oft mußten wir einen Löffel Lebertran (grrrrrrrrrr) schlucken, wegen der Vitamine … Morgens gab es Haferbrei: Das waren in Milch angerührte oder vorgekochte Haferflocken. Als wir klein waren, verteilte meine Mutter mit dem Löffel den Brei rund in der Runde, also wir zu dritt wie die Vögelchen und sie immer Löffel in den Mund … Das kann man heute nicht mehr glauben aber ich schwöre, das ist wahr. Ansonsten beim Abendbrot gab es wohl auch Käse und auch manchmal Wurst. Wenn Besuch kam, wurden mehrere Wurtsorten und Gewürzgurken aufgetan, und auch alles so ein bißchen drapiert, damit es nach was aussah. Was gab es denn da zu trinken??? Ich glaube Pfefferminztee, und wir hatten auch immer „Karo Kaffee“ für Kinder, aus Malz gemacht, der Geschmack ist eigentlich sehr gut. Und immer wieder gab es auch leckeren Kakau, vor allem an Geburtstagen. Dieser Kakau war wirklich sehr sehr lecker, er schmeckte voll und süß und heiß.
Aber das Wichtigste wollte ich ja eigentlich erzählen mit dem „abendlichen Sitzen am Eßzimmertisch“. Denn nach dem Essen saßen wir da stundenlang zusammen und haben einfach gequasselt. Da gab es kein Thema und keine Struktur, aber es war immer wahnsinnig spannend und vielfältig. Sehr oft wurde dabei ins Lexikon geguckt. Ich weiß noch, daß wir Kinder oft das Gefühl hatte „nun springt unsere Mutter aber mal wieder gedanklich“, und wir wollten doch so gerne den Faden nicht verlieren und Struktur empfinden, aber trotzdem waren diese Gespräche so wichtig für alle. Es ging zwei, drei Stunden. Sicher spielten wir auch mal „Mensch ärgere Dich nicht“ oder auch Halma, Fang den Hut und ähnliches (später, als wir Kinder größer waren, spielten wir stundenlang „Monopoly“ und auch Kartenspiele wie Skat u. a.). Aber das wichtige war doch das Quatschen. Dabei kam wirklich jeder gut zu Wort, und dabei haben wir das Sprechen und Argumentieren gelernt, und uns sehr, sehr viel Wissen spielerisch eingesogen. Ich kann es nur weiterempfehlen!
Mittags gab es ca. 5 bis 6 unterschiedliche Gerichte: Nudeln mit Tomatensoße, Fischstäbchen, Spinat mit Ei, Arme Ritter, Kässpatzen (mit grünem Salat), Bratkartoffeln mit Spiegelei und Schinken-Nudel-Auflauf. Das war’s ungefähr. Am Sonntag gabs oft Koteletts, für jedes Kind eines, mit Dampfkartoffeln und leckeren Erbsen, manchmal sogar Spargel (aus der Dose), als Nachtisch gab es Ananas, für jeden eine Scheibe mit dem süßen Ananas-Saft drumrum. Mehr als eine Scheibe gab es aber nicht, zu unserem größten Bedauern.
Das Zuteilen der Mengen führte dazu, daß ich in einem Urlaub mit meiner Schulfreundin Jutta Didion (oder Dideon, weiß nicht mehr) nach Jugoslawien (es war FKK, es hieß Valalta) plötzlich so viel essen durfte wie ich wollte. Na das war ja eine Sache!!! Wir Kinder (wir waren vielleicht so 12, 13 Jahre alt, vorpubertär) durften also uns sogar Büchsen kaufen (Ananas!!!) und diese selbst verputzen. Der Vater von Jutta, selbst mit einem ansehnlichen Bauch versehen, spornte uns in den Restaurants und überall sogar sehr an und sagte, „Ja, Kinder, futtert was das Zeug hält“. Er hatte eine innere Befriedigung darin, uns beim Futtern zuzusehen, und ich kam mit mehreren Kilo Mehrgewicht auf dem Körper nachhause. Das wurde als gutes Zeichen gewertet und gelobt. Aber ich spürte schon, daß es nicht gut war, und bald nach dieser Zeit begannen unsere Diäten in der Schule. In diesem Urlaub lachte ich mir sogar eine spätere Bulimie an, weil ich plötzlich so eine Essens-Wut bekam, durch die vorherige Beschränkung. Ich wollte so viel wie möglich in meinen Bauch hineinstecken, ich kann heute nicht mehr erklären, warum, es war einfach so. Ich behielt diese Bulimie, die gott sei dank nur in Phasen auftrat, zwischen denen die Pausen immer länger wurden, punktuell bei bis ich ca. 30 Jahre alt war. Das war schrecklich, und ich bin so froh, daß dieser Alptraum vorbei ist. Wenn man übermannt wird von dem Ess-Wunsch, kann man nichts dagegen tun. Es ist ja auch eine anerkannte Suchtkrankheit genauso wie Drogenabhängigkeit. Ich kann nur jedem empfehlen, der unter dieser schrecklichen Krankheit leidet, seinem Leben einen ganz starken Sinn zu geben und nur für diesen Sinn zu arbeiten und ständig Tätigkeiten zu entfalten, die diesem Sinn entsprechen. Als ich verheiratet war und Kinder bekam ist es dann vollkommen spurlos verschwunden, sehr zu meiner Freude, denn ein Familienleben wäre damit wohl vollkommen unmöglich geworden …
Jedem, der an Bulimie oder over-eating leidet, kann ich nur hoffnungsfroh zurufen: „Nur Mut!!! es geht vorbei!!! Arbeite an Deinem Selbstbewußtsein! Deinen Zielen! Du bist ein guter, großer Mensch mit guten Zielen und allen Menschenrechten dieser Erde, steh zu Dir, Du hast jedes Recht der Welt auf Sinn, Liebe, Zustimmung und ERFOLG! Arbeite daran, und zwar verbissen! Und Essens-Störungen, wenn sie denn einmal da sind, kann man m. E. nur mit eiserner Disziplin aus dem Leben entfernen. Ganz genau den Essensplan, der wirklich guttut und die Energie gibt, aufschreiben und NUR DIESEM PLAN FOLGEN, ganz egal was die anderen sagen. Das sind immer Sätze, die mit „Man muß auch mal …“ anfangen. Nein, man MUSS gar nichts! Zurückweisen solche Sätze! Du darfst so leben wie Du willst! Und du MUSSST so leben wie es DIR guttut. Du MUSST GAR NICHTS!!!!!!!!!!!
Jetzt, wo ich so schlank bin, seit Jahren, seit Jahrzehnten, habe ich leider keine einzige Person im Leben, die mich darin belobigt oder untersützt, im Gegenteil alle Menschen sagen immer „ach Du bist so dünn!“. Dabei bin ich gar nicht dünn, ich habe ganz normal Konfektionsgröße 38/40, und im Gegenteil, ich hätte gerne noch ein BISSCHEN mehr Taille, ich würde gerne einen richtig tollen schlanken und wohlgeformten Körper haben, so daß man ihn am liebsten gleich mal in Bronze realisieren würde! Und dafür wären 1 cm weniger rechts und links an der Taille geradezu perfekt. Aber ich komme da fast nicht hin, weil KEIN MENSCH dieses Ziel teilen würde oder mich sogar darin bestärken würde. Ich habe mir als Trick jetzt sogar zugelegt, Hosen anzuziehen, die meine Schlankheit verbergen, so daß ich nicht diese dummen Bemerkungen mehr abkriege, dass ich so dünn sei oder ob ich abgenommen hätte. It is true!!! Mal sehen, noch ist ja nicht meines Lebens Ende, und vielleicht erreiche ich ja doch noch mein heimliches Ziel. Im Grunde möchte ich so eine Figur haben wie Ursula von der Leyen. Mir gefallen eher kleinere Frauen, die nicht DÜNN sind, aber schön geformt. Ich will gar nicht „zierlich“ sein, ich bin nicht zierlich gebaut und das will ich auch nicht, und ich finde auch nicht, daß Ursula von der Leyen einen zierlichen Körper hat. Sie hat Formen und Schlankeit und dennoch eine gewisse Rundheit dabei, finde ich, also sie ist kein dünnes Hemd und keine „zierliche Figur“. Ich HATTE einmal kurze Zeit diese Figur, und damals hatte ich eine dünne blaßgelbe five-pockets-Jeans, die stand mir sooooooooo gut, das war wirklich ideal, wie gerne würde ich EINMAL IM LEBEN so wieder aussehen und vor allem eine solche Hose wieder tragen (der Stoff muß ganz dünn sein, nicht so dick wie die Five-Pockets meistens sind …). Es gibt ein Schwarz-Weiß-Bild von mir aus dieser Zeit, wo ich an der Arndtstraße 8 (!) die Rede halte, als Helmut Gollwitzer unseren Hausbesetzer-Kampf unterstützte …
Übrigens empfand ich die Schwangerschaften als willkommene und wirklich ausreichend lange Zeiten, um „ein für alle Male“ nach Lust und Laune zu essen. Soweit mir nicht einfach nur grottenschlecht war durch die Schwangerschaft (was leider bei Dorothea, meiner letzten Schwangerschaft durchgängig der Fall war), nahm ich mir die Freiheit, ALLES nach Lust und Laune zu essen und in einem Umfang ohne innere Begrenzung. Also auch Leberwurst, und saure Gurken, und was auch immer, was das Herz begehrt(e). Auch die leckersten stinkigen Käsesorten mit Blauschimmel und lauter solche Scherze, die ich mir alle heute nicht mehr erlaube und sie auch gar nicht für nötig erachte (Wer braucht denn Käse, wenn es Yoghurt und Quark gibt?). Ich habe mir angewöhnt, immer so weit wie möglich zu den Ausgangsprodukten zu gehen und keine Produkte mehr zu essen, die sehr weitgehend verarbeitet wurden. Wir haben heute Kühlschränke, da könnte man auf tausenderlei alte Haltbarmachungstechniken verzichten. Aber leider ist es wie immer: eine neue Technologie kommt auf, die die alte ersetzen könnte, aber die neue Technologie kommt nur als Additiv, und alle alten Technologien werden beibehalten. Es gibt in unserer heutigen Zeit eigentlich keinen Grund mehr, Kuchen, Marmeladen, Brot, Wurst, Butter, Käse und und und herzustellen und zu erwerben. Man kann ganzjährig alles frisch kaufen und lagern, alle diese alten Techniken wurden erfunden, um Speisen haltbar und transportfähig zu machen, das brauchen wir heute eigentlicha alles nicht mehr. Also Hafer soll man als Flocken essen, nicht als Brot, Milch (wenn überhaupt) als Yoghurt oder Quark, nicht als Käse, Butter, Schmand etc., Obst als Obst und nicht als Marmeladen oder Konserven, Fleisch (wenn überhaupt) möglichst so wenig verarbeitet wie möglich, und Gemüse so naturnah wie möglich. Es ist eigentlich ganz einfach. Nun kommen meine Kritiker aus nächster Nähe (also meine Töchter und Katja) und sagen: „ja, aber was ist mit Deinen Dosen???“ – Ja da ist eine kleine Schwachstelle, ich mache es nämlich so, ich nehme von einer z. B. „Feuertopf“-Eintopf-Büchse drei bis vier Esslöffel ab und rühre damit mein Gemüse / meine Kartoffeln etc. an. Geschmack perfekt, Gesundheit auch. In diesen kleinen „Dosen“ (von „Dosis“) schadet das bißchen Fertigfutter überhaupt nicht. Die heutigen Lebensmittelindustrien mixen ihre Produkte so perfekt in Geschmack und Konsistenz, da brauche ich nicht sundenlang am Herd stehen und „Soßen einkochen“ und solche dummen Scherze machen. Am Ende hängt nämlich die ganze Soße in der Küchenluft, hach wie sinnvoll! Alle diese dummen Rezepte, die jetzt überall herumgeistern, sind 100 Jahre alt und kein bißchen modern. Also ICH will NICHT drei Stunden in der Küche stehen, um eine Soße einzukochen! Ja, für eine Bratensoße nehme ich ein Fertigprodukt, und warum: Es kostet 10 Cent und schmeckt genauso gut wie eine „hausgemachte“, und kalorienarm und kontrollierbar ist erstere noch dazu. Und geht garantiert nicht schief und stinkt nicht!
So viel vielleicht (so wenig) zur Ernährung, weil es hier gerade paßte.
Wir müssen zurück zu meinem Lebenslauf, ach herrjeh, wo mache ich denn jetzt weiter? Ja natürlich, bei meinem Schulwechsel. Der kam so: Selbstverständlich hatte ich in Deutsch immer eine 1 oder auch eine 1+, falls es das damals überhaupt gab. Plötzlich kam eine neue Deutschlehrerin in knielangem Rock und weißen TURNSCHUHEN (das fand ich toll) namens Schönfelder oder so ähnlich. Sie war mittelgroß, und ich wollte sie eigentlich mögen. Warum sie mich nicht mögen wollte, verstehe ich bis heute nicht. Sie fühlte sich provoziert von meinem typischen Da-Sitzen: Gebannt die Augen aufgerissen, rechts und links die Handflächen am Gesicht, notwendigerweise hierfür die Ellebogen auf dem Tisch abstützend. Das war meine „Ich-folge-gerne-dem-Unterricht-Haltung“. Aber sie fand das provozierend. Plötzlich hatte ich für meine Arbeiten und Aufsätze Fünfen (!!!), und „Friedhelm“ (gott hab ihn selig), der bis dato in Deutsch nicht gut war, hatte plötzlich Einsen. Sie sagte wörtlich dazu, man müsse auch mal anderen eine Chance geben. Aha. Ich gönnte ja Friedhelm von Herzen seine gute Noten, aber ich wollte keine schlechten!!! Da „eh“ (man verzeihe mir das nicht-schriftliche Wort) hier in Rheinland-Pfalz das KURSSYSTEM vor der Türe stand und die Noten in eine 15-Punkte-Skala aufgelöst werden sollten, dachte ich an Flucht in eine möglichst traditionsbewahrende Anstalt, und dazu fiel mir das Altsprachliche Gymnasium in Kaiserslautern ein. Intuitiv wollte ich auch gezielt in einen Altbau und nicht mehr in so einen 60er-Jahre-Glas-Kieselbeton-Bau. Ich fand es schnell, und mein Gespräch mit dem Direktor (ich alleine und er) verlief gut und schnell und ZACK war ich umgemeldet und fuhr von Stund an statt nach Norden zwanzig Kilometer die gleiche Länge nach Süden. Das muß so etwa in der 10. oder 11. Klasse gewesen sein. Ich habe den ganzen Schulwechsel komplett alleine gemanagt und fühlte mich gut dabei. Ich war auch sehr gespannt auf die neuen Klassenkameraden, und eine kannte ich schon, Birgit Gehm, die hatte auch gewechselt, WEGEN EINER SCHWANGERSCHAFT!!!!!!! Schwangerschaften von Schülerinnen waren damals der Super-GAU, der GRÖSSTE ANZUNEHMENDE UNFALL, es war Schmach und Schande und alle Welt flüsterte pssssssssssst und es war das schlimmste und peinlichste, was passieren konnte!!!! Ein Kind!!! Die größte denkbare Katastrophe!!!!!! Ich möchte heute noch heulen über diese Verdrehung von Maßstäben, in einer „christlichen“ Gesellschaft haha. Pfui Teufel! Wenn eine Schülerin schwanger war, flog sie ruck zuck von der Schule, so einfach war das. Grrrr.
Mir passierte das nicht, weil ich lange Zeit unentwickelt und auch ziemlich asexuell war. Ich muß einflechten, daß es dazu kam, daß wir Mädels HOSEN TRAGEN DURFTEN. Das war die tollste Sache der damaligen Welt, und Tatsache hatte die große und gutaussehende, blonde Tochter der Brauns in unserem Heimatort Wolfstein das erkämpft. Sie trug einfach Hosen! Na sowas! Relativ bald danach durften wir es nachmachen, und es waren hauptsächlich schmal geschnittene Cordhosen in Mode gekommen. Es gibt ein Bild von mir, wo ich mit ca. 14 Jahren lässig in einer gelb-orangen Cordhose bei Birgit Kellerstrass auf einem Gartenzaun hocke, dick bin ich gar nicht zu der Zeit (staun!) (ich fühlte mich immer dick), und es war die Zeit, als wir damals beide das RAUCHEN angefangen haben. Dort, in ihrem Garten, hat es begonnen (ich bin heute übrigens mit ihr auf facebook befreundet, das war ein Zufallsfund).
Daß ich ein „Weibchen“ bin, merkte ich erst auf irgendeinem Abiball noch in Meisenheim. Da drückte mir mein Lateinlehrer Dahlhaus oder so ähnlich, mir sein Gemächt an den Bauch. Huch! Bis dato wußte ich gar nichts von diesem Körperteil bei den Männern! Eiligst und sehr aufgeregt stellten sich plötzlich Fragen über Fragen, und mir fiel auf „Ja, bis heute weiß ich ja wirklich nicht wie die Kinder zur Welt kommen!“ – Bis dahin hatte ich eine Vermutung, daß sie „hinten“ raus kommen, aber dann wurde mir plötzlich und siedend heiß klar, das kann ja gar nicht sein, dann würden sie ja im Bauch und Magen groß werden, das geht doch irgendwie nicht … Also machte ich mich auf die Suche nach Literatur, Lexika, und nach und nach fand ich heraus, daß es dort also noch eigene Wege und Organe gibt …
Nicht viel später, bei einem Maskenball in Lauterecken, drückte mir wieder ein Mann seine Geschlechtsteile gegen meinen Bauch und gab mir damit zu verstehen, daß ich irgendwie sexy oder so bin, für mich eine vollkommen fernliegende Vorstellung. Dieser Mann war unser hipper Sportlehrer Rieger, in den alle Mädchen verknallt waren, und dieser hatte in Meisenheim AUCH ein Mädchen geschwängert, nämlich ausgerechnet meine Schulfreundin Jutta Dideon, was auch ein Riesenskandal wurde. Ich weiß gar nicht mehr wie dieser Skandal ausgegangen ist, jedenfalls Jutta ist heute mit Markus Loew auch aus unserer Klasse, verheiratet, der wohl Arzt geworden ist, und der Vater von diesem Markus Loew hatte meinen Vater in Homburg im Saarland gegen diesen Lungenkrebs behandelt, aber ohne Erfolg …
Das Abitur war dann nur noch eine Abhak-Veranstaltung, denn ich war längst in Marx-Kursen und einer gewissen Nähe zu Wohngemeinschaften der RAF auf ganz anderen Schienen unterwegs. Die Schule war ein Klasseninstrument, das man negierte, und ab der großen Pause tranken wir Bier … Na gut, noch eine Abitur-Sause im Wald (drei Tage, viel Rotwein), und dann aber weg hier! – Als erstes fiel mir ein ich könnte nach Frankreich entfliehen, als au-Pair. Gesagt getan, ich landete bei einer adeligen Familie „d’Harambure‘ in Nizza. Es war eine schöne Zeit. Im Sommer tourten wir durch ganz Frankreich, immer in Schlössern nächtigend, von Verwandten. In einem Schloß an der Loire residierte eine sehr alte Dame, die immer nur durch die Gegend getragen wurde und extreme Essens-Anfälle hatte, die ihr mit wahrhaft riesigen, unglaublichen Bergen von Leberwurstbroten vom Personal ermöglicht wurden, manchmal auch spät in der Nacht. Dort gab es eine alte Köchin, die IMMER, solange sie wach war, eine gelbe Gitane zwischen den Lippen hatte … Ich mußte mich immer mit der Kinderschar herumdrücken, ich sang mit den Kindern und lief durch die Gegend, und natürlich spielten wir am Strand und was Kinder so wollen und dürfen … Ich fand es aber langweilig, mit den verzogenen „Gören“ mich abzugeben. Der kleine Junge, Thibaut, durfte alles und durfte alle terrorisieren, und das größere Mädchen gerierte sich als Besserwisserin und „Dame“. Nun ja. Ich habe keinerlei Kontakte mehr aus dieser Zeit. Aber es war eine kulturell interessante Erfahrung des alten Frankreich, von dem ja viel mehr übrig geblieben ist als vom alten Deutschland … Meine Französisch-Kenntnisse konnte ich toll perfektionieren … man ordnete mich nach meinem Sprechen als Pariserin ein. Stolz!
Ich fing an, mich für die Jungs zu interessieren, und skandalöserweise hatte ich DREI Anbeter zu Besuch, die aber jeweils nichts voneinander wußten. Das bescherte mir ein gewisses Abenteuer-Gefühl im Herzen. Es waren Christian, Alfred und ??? – weiß ich nicht mehr!!! peinlich. Wir trafen uns in Zelten, in der Natur. Wie ich verhütet habe, weiß ich nicht mehr. Ich glaube mit der Kupferspirale.
Es war damals eine Zeit, wo wir jungen Leute uns alle als „chancenlos“ ansahen, quasi von Natur aus. Weil wir so viele waren, wir waren ja die Babyboomer. Weil die Arbeitslosigkeit so hoch war. Weil überall Stoppschilder herumstanden und keine Einladungsschilder … Wie auch zum Beispiel der numerus clausus, der schon im Namen eine blöde Abgeschlossenheit trägt … Ich hatte mich, wie sich das für eine deutsche Abiturientin gehört, in MARBURG für Germanistik und Geschichte beworben und gar nicht mit einer Zulassung gerechnet (obwohl ich eigentlich sehr gute Abiturnoten hatte), und plötzlich flatterte doch zu meiner Überraschung der Zulassungsbescheid in Nizza ein. Also hieß es Klamotten packen und Abschied nehmen … Als Erinnerung bleibt der morgendliche Toast-Geruch wenn ich für die Kiddies das Baguette röstete und sie befühstückte, wusch und anzog …
Unser Traum ging in Erfüllung, und meine Freundin Barbara aus Koblenz (unsere Freundschaft hatte sich aus einer reinen Brieffreundschaft entwickelt!) und ich, wir konnten gemeinsam anfangen. Wir bezogen zwei Zimmer im Studentenwohnheim (Werdauer oder Werdaer Weg) und tauchten also in den für uns völlig neuen Studier-Alltag ein … Marburg ist ja wirklich ein wunderschönes Städtchen, und wir zogen, wenn ich mich nicht irre, auch noch in eine Altbau-WG IN der Stadt (beim Wohnungs-Suchen bekamen wir ständig Beischlaf-Anfragen, das nervte), aber nach kürzester Zeit waren wir beide einig: „NEIIIIIIIIIIN !!!! WIR MÜSSEN IN EINE GANZ GROSSE STADT!!!!!!!!!!!!!!“. Und wir überlegten, welche das wohl sein soll. Und dachten, na wenn schon denn schon, dann sollte es auch „die größte deutsche Stadt“ sein, nämlich Berlin, wie wir herausgefunden haben.
Ob wir zu zweit nach Berlin trampten, oder ich aus irgendeinem Grund alleine, oder ich mit jemand anderem, das weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur noch, daß wir – irgendwie aus Südwesten kommend – am Kirchheimer Dreieck uns entscheiden mußten „Berlin“. Und daß dann zu meiner großen Verwunderung und Überraschung zwischen Berlin und uns mit 200km Länge ein Stück „DDR“ lag, das mit Einreisekontrollen und scharfen Geschwindigkeitskontrollen und einer „ganz anderen Optik von Straße “ aufwartete. Ich hatte natürlich gedacht, daß Berlin an der Ostgrenze der Bundesrepublik liegt, daß der westliche Teil von Berlin zur Bundesrepublik gehört, und der östliche dann eben zu der hier beginnenden „DDR“. Aus dieser Vorstellung heraus hatten wir uns auch vollkommen in der Tageszeit geirrt, es ging auf den Abend, aber das war nicht so schlimm, es war Sommer, und Uhrzeitbeschränkungen gab es ja immerhin damals nicht …
Ich staunte nicht schlecht, daß wir also 200 Kilometer über ziemlich alte Straßen rumpelten. Aber der Fahrer war versiert, kannte das alles, und durch einen guten Zufall hatten wir gültige Identitätsdokumente dabei. Es ging also alles vollkommen glatt, aber irgendwie schlotterte ich doch. Auch hatte ich nie von dem ganzen gleißend hell erleuchteten Einreisezirkus gehört, und es war ja zum ersten Mal, daß ich die große Stadt Berlin „betrat“, also genauer gesagt befuhr, immer noch per Anhalter.
Es wurde dann später zu einer melancholisch-süßen Vertrautheit, beim Grenzkontrollpunkt Dreilinden einzurollen, sich in die Schlangen zu stellen, an parkenden Lkws vorbei sich in die Straße Unter den Eichen / Potsdamer Straße / Berliner Straße etc. einzufummeln (nicht aus Versehen auf der Avus zu landen). Dann in Steglitz Autobahn ruff bis Sachsendamm, hier Wüste und kleine Sträßchen durchs nichts, Naumannstraße, entlang der Schöneberger Insel, Dudenstraße, HURRA: Die Yorckbrücken! – schon war man fast zuhause, nun noch den Generalszug entlang, später immer entlang der Hochbahn, Görlitzer Straße rechts ab. In der Nummer 68 (!!!) war mein erstes Zuhause, in einer Wohngemeinschaft mit Kachelöfen, Haschisch, und mit Christian, Bernd Mählmann, Thomas Wingerter, icke und anfangs Barbara, die dann bald um die Ecke in der glaube ich Ohlauer Straße wohnte … später wohnte sie recht hübsch am Lausitzer Platz, dort habe ich sie öfter besucht, und noch später zog sie aus dem dummen und zukunftslosen Berlin weg nach Frankfurt/M. Wir hatten immer einen Dissens hinsichtlich der Bürgerlichkeit des Lebens, was wir führen wollten. Sie heiratete dort in Frankfurt/M und schloß ihr schweres Jurastudium ab, hatte oder hat eine Antwaltskanzlei, die sich hauptsächlich mit dem Recht von geschiedenen Frauen beschäftigt … sie heißt heute Pauli-Tetkov, zwischendurch hatte ich sie ab und zu noch besucht, aber irgendwie wurden wir uns doch fremd und fremder. Ich möchte sie gerne einmal wiedersehen und habe immer unserer Trennung gelitten. Liebe Barbara, falls Du das hier liest: Ich liebe Dich!
Zwei Freundinnen habe ich zu meinem großen Bedauern verloren: Diese Barbara, über die ich ein schönes Lied geschrieben habe, und aus meiner Kindheit Maria. Maria war wohl ein Flüchtlingskind und von einer Pfarrersfamilie (Walter Huber glaube ich, und Elfriede, was vielleicht seine Geliebte war, die man als Haushälterin immer ausgeben mußte damals, wahrscheinlich war es so – ich bin aber nicht sicher!) an Kindes statt angenommen. Ich mochte Maria sehr und habe sie als Kind mindestens zwei Mal, wenn nicht mehr, in Ingolstadt und München besucht. In Ingolstadt lebte m. E. ihr leiblicher Vater und eine Verwandte, in einem Neubaugebiet. Ich habe damals diese modernen Neubaugebiete hassen gelernt, ohne besonderen Grund, ich fand das alles ganz schrecklich.
Sowohl Barbara als auch Maria waren glaube ich von meiner Art genervt, daß ich alles ausprobieren wollte, daß ich keine Grenzen akzeptieren wollte, daß ich nicht konventionell sein wollte, daß ich auch eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber der Zukunft besaß, und daß mir „Weltrettung“ und „Klassenkampf“, also hier und jetzt die „Weltrevolution“ zu machen, viel wichtiger war als alles, alles andere. Ich war ja mit dieser Auffassung nicht allein, sondern es war eigentlich die vorherrschende Existenzform junger Leute damals. Da war der Tunix-Kongreß und später der Tuwas-Kongreß tausend Mal wichtiger als alles andere, die Lektüre der „883“, konspirative Treffen, Demonstrationen, um „Gefangene freizubekommen“ und der Besuch des Begräbnisses von Holger Meins, später Rudi Dutschke – das waren, neben den zahlreichen Vollversammlungen, Streikmanifesten und natürlich 24-stündigen Debatten-Marathons um das richtige Leben, meine Eckpunkte.
Eines Tages sprach im Audi-Max – war es im Henry-Ford-Bau? – entweder Kurt Jotter, oder ein anderer von ähnlichem Kaliber (Kuno Haberbusch?), es könnte auch Benny Härlin o. ä. gewesen sein. Er sagte: „Leute, wir müssen in die Kieze! – Dort findet der jetzt wichtigste Kampf statt – um die Mieten, um die Wohnungen, um das Leben!“ – Das überzeugte mich total, und von Stund an ließ ich das – sowieso überflüssige (In Linguistik rangen wir darum, ob der Mensch spricht, damit der andere etwas versteht, oder ob es vielleicht anders herum ist, und es gab auch Übungen in Mittelhochdeutsch, und bis heute habe ich nicht verstanden, was Gadamers Hermeneutik meint, und auch Ludwig Wittgenstein blieb mir fremd …) Studium Studium sein und begab mich in den Mieterkampf.
Passenderweise war ich mit Christian Friese (er entwickelte sich zu einem begnadeten und hoch verdienenden Software-Experten. Und zwar weil er damals in vollkommener eigenbrötlerischer Arbeit an einem SYNTHESIZER bastelte; immer mal begleitete ich ihn zu Atzert, später A-Z am Anhalter Bahnhof, später in der Kleiststraße … aber von den Dioden und Kathoden, Widerständen und Leiterplatten verstand ich nichts …) schon damals in die Willibald-Alexis-Str. 8 (!!!) gezogen. Wir hatten eine Kachelofen-Parterre-Wohnung, geräumig, mit hohen Wänden und mit 1,0-Quadratmeter-Dusche in eine Ritze in der Küche von unseren Vormietern eingebaut, natürlich ein bißchen undicht … Aber unser Leben war schön: Durch die Parterre-Fenster hatten wir einen regen Kontakt zur Straße, und der Chamissoplatz entwickelte sich zu einem Dorf … Es ging aber nicht allzulange gut. Christian rauchte viel Haschisch und hörte ständig Tengering Dream, ich fing an, den Reiz eines disziplinierten Lebens zu entdecken … Der HERD in der zusammengewürfelten Küche hat mir aber den Rest gegeben. Das müßt ihr euch mal vorstellen: MEHRFACH bekam ich dort am Herd veritabel richtig einen vollen Stromschlag, kein leises Kribbeln, irgendein harmloser Schleichstrom, sondern nein, einen vollen brutalen WUMMS von 230 Volt, und ich erzählte Christian davon, und obwohl er keine schlechten Elektriker-Kenntnisse hatte, machte er: NICHTS. Das war mir wirklich eine Lehre fürs Leben, Dinge, die Frauen passieren, und die man nicht sieht, werden für nicht-existent erklärt! So ist es heute noch. Es ist mir bestimmt drei Mal passiert, und hätte ich ein wenig feuchtere Hände gehabt, wäre ich kläglich am Starkstrom klebengeblieben und verendet … Warum nur bin ich nicht SOFORT geflüchtet??? Unverständlich, vollkommen unverständlich.
Nein, das wollte ich nicht mehr, auch nicht mehr diese Beziehung – wir hatten einen Sommer mit einem WOHNMOBIL hinter uns gebracht. Diese Geschichte muß ich hier noch kurz einflechten:
(fehlt noch)
Ich zog also in eine kleine Wohnung in der Obentrautstraße 45, Hinterhaus, 3. Stock, aber privat sehr nett modernisiert: Von dem riesigen Wohnraum hatte der Eigentümer einen ganz kleinen Flur abgeteilt, ein 2 x 2 m großes Bad und eine 2 x 2m große Küche, und wirklich sehr intelligent angeordnet. Das Bad gleich rechts innenliegend vom Flur abgehend, der Flur öffnete das große Zimmer und rechts davon ging die Küche ab, die ein Fenster besaß, eines von den beiden, die früher für das große Zimmer beleuchtet haben. Dann gab es noch ein kleines, langes Zimmer nach Süden, man blickte herrlich in den Garten des Natur-Krankenhauses, dessen Eingang in der Großbeerenstraße / Wartenburgstraße lag. Hier stellte ich natürlich mein Bett auf, in dem so manches hübsche Abenteuer passierte … Die Küche richtete ich mit braunen Blech-Dingen liebevoll ein, die ich, wie es damals Mode war, alle an die Wand hängte, bis ich natürlich durch Erfahrung begriff, daß das Quatsch ist, wenn man ab und zu kocht, weil dann alles mit einer wachsenden Fett- und Schmierschicht beschichtet wird … Trotzdem waren die Jahre in dieser kleinen Wohnung traumhaft schön, vielleicht meine glücklichste Zeit. Da war kaum etwas, was man saubermachen mußte, die Objekte im Bad waren schön und funktional, es gab eine Zentralheizung, und der Kontakt zum privaten Vermieter war o. k. (Es war eine Frau, vor nicht allzu langer Zeit lag mir noch ihr Name im Gedächtnis, vielleicht fällt er mir wieder ein).
Von der Obentrautstr. 45 trottete ich jeden Tag zum Chamissoplatz, denn da war ja unser Mieterladen und unsere ganze Aktivität. Als der Chamissoplatz Sanierungsgebiet war, gründete ich mit anderen zusammen den Mieterrat Chamissoplatz, und wir brachten uns ein, was das Zeug hielt. Unsere Forderungen waren klar. „Alle bleiben“ – „Keine Mieterhöhungen“ – „Alle Häuser erhalten“. Im großen und ganzen konnten wir eigentlich unsere Forderungen durchsetzen, und es blieben auch alle Häuser erhalten, soweit ich weiß, auch die Hinterhäuser, die eigentlich fast alle hatten verschwinden sollen. Aber dafür haben wir auch viel getan, haben auch Häuser besetzt und viel Öffentlichkeitsarbeit gemacht. Als die Pastoren von der Passionsgemeinde auf unsere Linie eingeschwenkt sind und gepredigt haben „Jesus hat nicht gesagt ‚Du sollst nicht instandbesetzen‘ „, da war die Sache bald gelaufen. Auch Helmut Gollwitzer half uns, trug werbewirksam eine Matratze in der Arndtstraße nach oben, der Spiegel berichtete … und ich durfte die WICHTIGE Rede dazu halten, das hat mir immer gefallen, wenn ich eine Rede halten durfte … Bald gab es Vertragshäuser, die mit der GEWOBAG Verträge machten, und die GEWOBAG wurde bürgernäher, eröffnete im Kiez ein Büro …
Zu den Haus-Instandbesetzungen muß ich noch ein bißchen ausholen. Im Mieterrat Chamissoplatz hatte ich einen Gegner, der hieß Sergej Goryanoff und war Mitglied bei der SEW, die Schwesterpartei zur kommunistischen SED in der DDR / Ostberlin. Er war ein Schwadronierer, und ich war ihm irgendwie ungeheuer. Er hatte in seinen marxistischen Grundschulungen gelernt, daß „spontaneistische Aktionen“ das größte Übel der Welt sind, und sowieso gab es damals eine Grund-Debatte ob man streng-dogmatisch marxistisch-leninistisch sein sollte oder unberechenbar und spontan. Natürlich neigte ich zur unberechenbaren und spontanen Front („Spontis“), und unsere Aktionen (Hausbesetzungen) spielten sich im halblegalen Bereich ab. Gegen mich hielt Sergej Goryanoff im Mieterrat Chamissoplatz ausgefeilte Reden, und viele hingen an seinen Lippen, weil er alles so überzeugend dartat („Kann ich nur WARNEN …“ etc.). Daher erlitt ich im Mieterrat eine Abstimmungsniederlage, man entschied sich mit Mehrheit GEGEN Hausbesetzungen. Das war nun aber ganz dumm zu dieser Zeit, denn es war DAS MITTEL DER WAHL und in der öffentlichen Diskussion ziemlich anerkannt und wachsend. Wie Wasserstandsmeldungen brachte die örtliche Presse jeden Tag die Zahl der besetzten Häuser … Daher nahm ich mir an LENIN ein Beispiel und sagte mir „Die Speerspitze der Bewegung muß das RICHTIGE tun und nicht das was eine uneinsichtige Mehrheit entscheidet. Zur Not muß man sich eben von dieser Mehrheit trennen …“. Gesagt getan, und clandestin tat ich mich mit einigen entschlossenen Menschen zusammen (war Udo Münch dabei??? Ich erinnere es nicht mehr so genau!), und wir guckten uns die Häuser aus, die wir besetzen wollten, und das realisierten wir dann recht schnell. Mit dabei waren Melle, eine Malerin mit einem Nachnamen, der mit „Rot“ anfing, Armin und noch ein paar, auch der Anthroposophen-Schüler Ulli, dessen Schwester eine Zeitlang bei mir wohnte in der Willibald-Alexis-Str. 8, sie ging immer mit nackten Füßen, und noch ein paar. Unsere Besetzungen waren ein voller Erfolg, es waren nach und nach die Kopischstraße 3 (Hinterhaus), Willibald-Alexis-Str. 40 und / oder 43 und ein, zwei Häuser in der Fidicinstraße. Ich suchte die Häuser aus, und ich ging in der Nacht auch mit rein (meistens zerhackten wir die Tür mit einem schweren Beil) und blieb bis morgens, leitete dann die Pressekonferenz, führte die Presse durchs Haus und so weiter. Wirklich eingezogen bin ich in kein Haus, spät am Abend kehrte ich in mein home sweet home in der Obentrautstraße zurück und war glücklich …
Abends ging man jeden Abend in den Heidelberger Krug oder in das „Schlehmihl“, um dort 3 bis 4 Stunden lang die Weltlage zu besprechen. Es war wichtig, mit Uwe Hübsch über die Lage der Arbeiterklasse zu sprechen, und ob Friedrich Ebert ein Schwein war, weil er den Patk mit Noske geschlossen hatte. Ob es richtig war, die USPD von der SPD abzuspalten, über die Kriegskredite und natürlich stundenlang über Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Natürlich sprach man auch mit geneigten Architekten wie Bernd Laurisch über die Häuser, was man tun müsse, etc. etc. Bernd Laurisch hatte im „Kerngehäuse“ mitbesetzt und sich dort niedergelassen. Ich hatte eine Affäre mit ihm, aber es war nicht für die Zukunft. Sein Lachen ist mir wundervoll im Ohr, ganz toll, sein Humor und Lachen-Können. Er ist heute in Darmstadt ansiedelig, und ab und zu mailen wir hin und her …
Nachdem die Hausbesetzungen so gut eingeschlagen hatten, haben sich die beiden Fraktionen im Mieterrat wieder versöhnt und beschlossen, daß die Hausbesetzungen DOCH das richtige Mittel gewesen seien …
Nebenher gab es auch eine Menge zu tun: Man wollte die ERNÄHRUNG revolutionieren, ganz auf Biolandwirtschaft alles umstellen, überall sprossen Bio-Bäckereien aus dem Boden … Man mußte gegen Kernkraft kämpfen, auf allen wichtigen Großdemonstrationen war ich anwesend, wir fuhren mit Bussen hin: Brockdorf, Kalkar, eine Sache in Bayern, usw. Und wir mußten die Friedensbewegung füttern, nach Bonn fahren zum Demonstrieren … Wir hatten eine Kreuzberger Friedensinitiative gebildet, aus der heraus dann Kreuzberg zur „Atomwaffenfreien Zone“ erklärt wurde, und aus der heraus das „Aktive Museum“ heranwuchs. Das „Aktive Museum“ kümmerte sich um den Prinz-Albrecht-Garten, der damals ein „Fahren-ohne-Führerschein“-Areal war. Kurz zuvor war der Kampf um den Erhalt des Gropius-Baus geführt worden, der ebenfalls einer Straße weichen sollte, die die Kochstraße schnurstracks verlängern sollte statt dieser mühsamen Kurverei, die bis heute erhalten geblieben ist. Und ebenfalls sollte also das Gelände des Prinz-Albrecht-Gartens von einer Geradeaus-Verlängerung der Kochstraße überquert werden … Da setzten wir an und verlangten „Erinnerung muß Vorfahrt bekommen“. Eine Schaugrabung, mit viel Presse, hat dann den Ausschlag gegeben für das Canceln der Autostraßenpläne und den Beginn der ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Ort der Täter. So entstand die „Topographie des Terrors“ etc. etc. Die Idee der Schaugrabung stammte von mir, und ich habe zusammen mit einem Aktivisten des kirchlichen Jugendzentrums „Die Wille“ in der Wilhelmstraße, und mit Gaby Schöder, die eine Kita-Leiterin in der Nähe war, in Jugendzentren und bezirklichen Einrichtungen ganz viele Spaten und Schaufeln zusammengetragen, so daß wir dann mit viel Presse diese Schaugrabung eines Morgens durchgeführt haben.
Zwischendurch hatte ich eine politische Karriere hingelegt. Bei der Wahl 1981 hatten die Grünen, damals noch mit dem Namen „Alternative Liste“ einen ziemlichen Wahlerfolg, der auch größer ausgefallen war als vorgesehen. Dadurch rückte ich erstens 1981 in die BVV Kreuzberg ein. Davor war die Alternative Liste hier nur mit zwei Personen vertreten gewesen: Rainer Ganz, der Rahmenhändler aus der Oranienstraße und Dirk Schneider, der Gründer der Zeitung „883“ und Überall-Aktivist der ersten Stunde (später hieß es von ihm er sei auch bei der Stasi gewesen)… Unsere Fraktion war dann schon bedeutend größer, Raimund Helms gehörte dazu, und Barbara Oesterheld, und Dagmar Enckelmann, Andreas Steinert, eine ältere, die so eine Art Urgestein war und tausende Unterschriften immer gesammelt hatte.
Wir hatten damals eine strenge „Rotation“. Wenn man ZWEI JAHRE in einer Mandatsposition war, mußte man „rausrotieren“. So geschehen also 1983, nach zwei Jahren BVV. Aber da wurde eine Stelle des „Bau-Assistenten“ in der Landesebene der Alternativen Liste frei, ich bewarb mich und wurde sogleich genommen, so konnte ich meine baupolitischen Aspirationen fortsetzen. „Mein“ Abgeordneter, dem ich eigentlich zuarbeiten sollte (in Wirklichkeit leitete man eigentlich recht eigenständig den „Bereich“, also in diesem Fall den Bereich Baupolitik; die Partei war in Bezirke und in Bereiche gegliedert) war Peter Finger, der nach seinem Ausscheiden aus dem Parlament irgendwie verschwunden ist. 1985 wurde ich dann Abgeordnete, ebenfalls wieder entgegen der Erwartung, denn ich hatte einen hinteren Listenplatz, aber das Wahlergebnis war wiederum viel höher als prognostiziert, so daß ich mit ins Parlament flutschte. Das West-Berliner Parlament tagte damals im Rathaus Schöneberg. Bei der Wahl 1985 kandidierte für das Bürgermeisteramt nicht mehr Richard von Weizsäcker wie 1981, sondern Eberhard Diepgen, und es gelang ihm auch, eine CDU-FDP-Koaltion hinzukriegen, so daß der als blaß geltende Eberhard zum Bürgermeister wurde … Meine Mit-Parlamentäre hießen: wiederum Raimund Helms aus Kreuzberg; Hilde Schramm; Renate Künast; Heidi Bischoff-Pflanz; Stefan Haberkorn; Dagmar Birkelbach; Peter Lohauß; und andere
Meine politische Karriere ging, wie passend, bis 1989. Ich hatte noch an den Formulierungen für eine rot-grüne Koalition mitgewirkt, die nach den Wahlen im Januar 1989 überraschend möglich wurde. Die CDU hatte schwer eingebüßt (Bankgesellschaft etc.) und lag mit der SPD bei 37 % etwa gleichauf, die Alternative Liste hatte zugelegt, und die FDP flog raus. Der (mir ZU) hemdsärmelige Walter Momper konnte eine rot-grüne Koaition bilden, dafür mußten in aller Eile in Sachrunden Positions-Papiere hergestellt werden, wobei ich mitwirkte aber mit wenig Lust.
Nach meinem Ausscheiden aus dem Parlament war ich eine gesuchte Rednerin und wurde gleich angeworben, Vorsitzende der Berliner Mietergemeinschaft zu werden, was ich auch annahm. Ich galt ja als sehr links durch die Kreuzberger Nähe zur SEW und zu Dirk Schneider, und die Mietergemeinschaft war die linkere, dogmatischere Schwester des Berliner Mietervereins, der mehr SPD-zugehörig war … Ich hielt Reden zum Rosa-Luxemburg-Gedenktag, zur Anbringung von Gedenktafeln, auf Demonstrationen (wo ich auch immer mal wieder Lieder sang). Mein Gott was war unsere Welt doch noch sortiert! Wir waren gegen Neonazis (ich organisierte, zusammen mit Leonie Baumann und Klaus Croissant)
Aber verdammt, ich hatte ja mein Studium gar nicht fertig! Ich fragte in die Runde (ich fragte bei Dietrich Mahlo, ich glaube sogar bei Wolfgang Nagel, bei Volker Liepelt und bei noch jemandem. Alle rieten mir, mein Studium zu beenden; hm). Und wie sah es denn eigentlich privat aus? Ich war mittlerweile wieder in die Willibald-Alexis-Straße 8 zurückgekehrt, als „Umsetzmieter“ (huch, hatte ich gar nicht gewußt) hatte ich noch ein Anrecht auf eine Wohnung im sanierten Haus, und meine Schulkameradin Susanne Grundmann, die nach Berlin gekommen war, um im Kempinski Hotel ihre ersten praktischen Sporen im Hotelfach zu erwerben, sagte „Mach es doch, und laß uns doch zusammenziehen!“ – Gesagt getan, die Wohnung war wunderbar! Sie lag im dritten Stock, durch eine sehr intelligente Verbindung zum Quergebäude hatte sie eine riesige Küche mit Blick zum Hof (mit Baum) bekommen. Die Küche war sehr schön vom Grundriß her, gliederte sich in einen großen Sitz- und Eßbereich AM FENSTER und einen großen Küchenbereich mit weißer Einbauküche und bar-hohem Raumteiler. Das war wirklich grandios! Hier haben wir die schönsten Demo-Frühstücke gemacht und schöne Abendessen, es war eine Freude, hier an meinem ovalen Tisch zu sitzen, mit den Freischwingern. Alle diese Möbelstücke habe ich immer noch … Von der Küche gab es drei kleine Stufen tiefer sogar noch einen Raum für einen Mitmieter, und nach vorne gab es einen großen Raum mit zwei Rundbogenfenstern und einen vom Flur abgehenden Raum. Genialer geht keine Aufteilung einer Wohnung! Man konnte hier zu zweit oder zu dritt wohnen. Nur leider fehlte ein Balkon oder Austritt. Mein Zimmer zur Straße war eine Wucht, mit großem Spiegelschrank, großen selbstgebauten Regalen übers ganze Zimmer und einem schönen, hellen Doppelbett mit schöner Rückenlehne mit Blick auf die Fenster. Alles war sehr hell nur in weiß und gelb gehalten. Freunde erinnern etwas ganz anderes, nämlich daß ich einen KOPIERER in der Wohnung hatte! Das war für mich eine Selbstverständlichkeit. Und ich war auch die erste oder mindestens eine der ersten, die einen Anrufbeantworter hatte. Kaum hatte ich davon gehört, erwarb ich im LEASING-Verfahren ein solches Gerät, für bestimmt 100 DM im Monat oder in der Größenordnung. Als die Leasing-Zeit abgelaufen war, investierte ich noch einmal 2000 DM in den endgültigen Erwerb … Heute hat kein Mensch mehr so eine veraltete Technologie wie ein Fax-Gerät, und wenn überhaupt, bekommt man sie nachgeschmissen oder sie sind als wenig verlangte Zusatz-Funktion bei Scannern oder Kopierer mit eingebaut …
In dieser Wohnung lebte auch eine lange Zeit meine Schwester mit ihrem schönen Naturholz-Sideboard, und auch mein Freund Wolfgang Kuhmann, mit dem ich wohl so ca. seit 1986 / 1987 zusammen war, und das kam so: Wir lernten uns „auf der Straße“ beim Sammeln kennen, er sammelte verformte Glasteile, die der Bombenkrieg hinterlassen hatte. Ihn faszinierten diese Denkmäler, und er hatte eine große Sammlung solcher Funde, hauptsächlich von verformten Gläsern. Ich streifte immer über Ruinengrundstücke, mich interessierten mehr die Straßenbezüge und ob noch Grundmauern festzustellen waren … Wolfgang hatte ein verschmitztes Lächeln und Lachen, das gefiel mir. Er wohnte in der PAREY-Villa, die wir prompt gemeinsam besetzt hielten, als die Stiftung Preußischer Kulturbesitz diese partout abreißen wollte. Mit dabei waren damals auch Axel Liepe und Bernhard Strecker und andere Architekten, deren Namen ich aber nicht mehr genau erinnere, weil ich immer Andreas Reidemeister und einen Mann mit einem ähnlichen Namen verwechsele.
Als ich 1987 ins Abgeordnetenhaus einrückte, dachte ich mir, es wäre sicher besser, „bemannt“ zu sein, weil ich eine junge, gutaussehende Frau war, und ich wollte eigentlich von diesbezüglichen Anfragen in Ruhe gelassen sein. Daher führte ich mit Wolfgang Kuhmann ein – wirklich ernstgemeintes! – Beziehungsgespräch und fragte ihn, ob er sich mit mir auch Kinder vorstellen könnte. Ich konnte das, denn ich schätzte an ihm sein Aussehen, seinen Verstand und vor allem seinen Humor, sein Lachen. Ich hätte mir eine gemeinsame Zukunft wirklich vorstellen können. Er sagte „Ja!, und so war es besiegelt, wir waren zusammen. Weil wir die Parey-Villa ja auch aufgeben mußten, paßte es und er zog in die Willibald-Alexis-Straße mit ein. Vielleicht war er nicht 100%ig glücklich, weil er wohl viele Schätze woanders lassen mußte. Aber vieles packte er auch bei uns in den Keller. Mit seiner lustigen Art hatte er auch einen Spleen für Alfa-Romeo und besaß ein spritziges kleines rotes Alfa-Romeo-Auto. Mit dem sind wir sehr oft nach Prag gefahren. Außerdem war er ein Fan einer alten Motorrad-Marke namens „Dukati“ oder so ähnlich, und davon lagerten ganz viele Teile im Keller. Sein Freund hieß Till, ein obernetter Kerl, den ich leider aus den Augen verloren habe. Wolfgang Kuhmann war Setzer beim Tagesspiegel und rasselte direkt in diese Umstellung auf Digitales. Er ist heute im Technik-Museum ehrenamtlich tätig. Gerne würde ich ihn mal wiedersehn und mich auch wieder versöhnen, denn bestimmt ist für ihn alles immer noch ein Mißverständnis, und das kam so:
IM HAUSFLUR, ich schwöre IM HAUSFLUR, also im Treppenhaus hatte er Helmut Maier gesehen. Er ging runter (wie symbolisch) und Helmut rauf. Helmut klingelte an der Türe und trug mir zum wiederholten Mal vor ob wir uns nicht mal sehen könnten … Ich hatte zu ihm gesagt „Was soll ich mit Dir, Du bist ein verheirateter Mann, geh zu Deiner Frau und zu Deinem Sohn, die brauchen Dich.“ Er hatte mir gesagt, daß es zwischen Sabine und ihm aus ist und daß er dort auch keinen Sex mehr bekommt („nach 22.00 brauch ich gar nicht mehr zu kommen hatte man mir beschieden“). Er fragte dann, was denn dagegen spräche, daß wir mal zum Essen gehen würden, das wäre ja nicht verboten und da könne ja auch nix passieren … Ich sagte ja klar können wir mal zum Essen gehen. Wir taten das dann „wie immer“ bei Mario, der quasi das Eß- und Weintrinkzimmer vom Kiez war. Wir aßen was Unspektakuläres wie Clamari Fritti und tranken den üblichen Soave. Hier bei UNSEREM Beziehungsgespräch (wie ich später verstand) fragte ER MICH ob ich eigentlich in meinem Leben Kinder haben woll(t)e. Damals war das eine ziemlich entscheidende Frage, und sehr viele Frauen wollten gar keine Kinder, die Mehrheit der mich umgebenden Frauen (und Männer) hatten mit Kindern REIN GAR NICHTS IM SINN, wenn sich Kinder einstellten, dann fast immer „aus Versehen“. Ich sagte zu ihm „Ja, ich wollte in meinem Leben immer Kinder haben“. Er fragte strikt weiter „wieviele denn?“ – Ich antwortete „nun ja mit dem Begriff Kinder ist Plural gemeint, im Deutschen beginnt der Pluarl mit zwei, also mindestens zwei, sonst sind es ja nicht ‚Kinder‘. Helmut sagte „ah ja“. Dann fragte er mit ganz direkt so: „Und was WÄRE denn der Unterschied, wenn ich KEIN VERHEIRATETER MANN wäre???“ – Ich gucke ihn ganz verdattert an und mußte überlegen und antwortete dann natürlich die reine Wahrheit, nämlich „du bist lustig, was ist DAS DENN für eine Frage, das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht oder wie zwischen 0 Prozent und 100 Prozent.“ – Dazu sagte Helmut nur „Aha“. Daß es eine Fangfrage war merkte ich erst viel später … Wir sprachen dann noch über vieles andere und bestimmt trank ich auch noch einigen Soave, ich weiß noch daß ich dachte ich sollte vielleicht ganz mit dem Wein aufhören, weil das Gehirn sich irgendwie unter Weingenuß ändert und man fast eine Persönlichkeitsveränderung durchmacht, und ich möchte doch immer ICH sein … Jedenfalls verabschiedeten wir uns bestimmt mit einem schönen Kuß, denn küssen konnte Helmut, das hatte ich lange vorher auf dem WAHRHEIT Pressefest erfahren, und das kam so:
Ich war ja eine begehrte Frau und saß auf der Schaukel. Alle hatten schon ordentlich gebechert und da kam Ilan (er hat sich später auf die Schienen gelegt, aber überlebt) und fragte ob er mich küssen dürfte. Es gab ja noch kein Aids, wir hatteneine freie und gelöste Zeit, und ich sagte ja warum nicht. Es folgte ein langer und inniger Kuß. Dann kam schon der nächste. Es war Gerd Bach oder so ähnlich sein Name, der Mann von Jutta ???, die Chefin einer ersten VIDEO-Firma, die damals schon anfingen – sehr zu meinem Erstaunen und vollkommenen Unverständenis – kleine Filmchen zu Musik zu drehen. Malte Ludin war auch dabei, die Firma hieß PROVIDEO, und ich sollte die Sekretärin sein, es war in der Otto-Suhr-Allle in einem hinteren Backsteinbau. Eine wunderbare Zeit, meine Arbeit dort, einfach wunderbar. Gerd Bach küßte mich also auch lange und inniglich (er hat sich wirklich umgebracht später, ich weiß nicht warum). Und dann kam Helmut. Jetzt wo ich es so aufschreibe denke ich ja es ist ja wie bei Homer mit den drei ??? Immer waren es doch drei Anwärter auf irgendwas,wie im Märchen. Hihi und ich war die Märchenprinzessin. Ja so war es. Helmut küßte wirklich unglaublich gut. Das war wirklich ein anderes Erlebnis. Es ging mir durch und durch, das muß ich gestehen. Wir knutschten dann noch heftig rum, auf einem abgelegeneren Teil. Die Feier war immer in der Hasenheide, wo genau das weiß ich heute gar nicht mehr … Es war immer toll und ausgelassen. So wie bei der Pariser humanite, deren Pressefeste legendär waren … Mit Ilan hatte ich viel unternommen, wir haben gemeinsam Demos angemeldet und geleitet, und er war ein richtiger Partner und Kumpel, ich hätte ihn genommen, aber er war liiert. Gerd Bach oder wie der hieß war ein trockener Intellektureller mit Glatze und unschöner Stimme, nein danke. Sieger im Küssen war Helmut, das war ganz klar. Die Zwischenzeit habe ich vergessen, wir sahen uns am Chamissoplatz, in Planungsrunden und küßten uns wohl auch noch mal. (Es gibt übrigens das Gerücht, daß wir beide, Helmut und ich, für den Film „Berlin Chamissoplatz“ von Rudolf Thome – er wohnte damals Fidicinstraße – ich hatte nix mit ihm – irgendwie „Pate gestanden“ hätten. Genaueres weiß ich aber nicht. Einige Details, wie das Fahrradfahren etc. passen auf mich …). Eines Tages, sehr lange nach dem „Beziehungsgespräch“ im Heidelberger Krug, stand Helmut wieder vor der Türe in der Willibald-Alexis-Straße. Von den drei Treppen kommt man sowieso immer etwas außer Atem, ich mache auf, er sagt „So, ich bin geschieden, also nimmst Du mich jetzt?“ – So war unsere Sache (ge)(ent)schieden. Hätte ich DANN sagen sollen „Nein, geh weg!“ – Nein das ging nicht. Ich mochte ihn ja. Und ich hatte mich kurze Zeit davor von Wolfgang Kuhmann getrennt. Als die beiden sich im Treppenhaus begegneten, das war aber nicht der Tag, als er nach dem Essen-Gehen fragte, sondern ein zufälliger anderer Tag. Wolfgang Kuhmann hat mir aber später gesagt, er habe Helmut die Treppe raufkommen sehen, und da „sei ihm alles klar gewesen“. Die beiden Vorgänge hatten aber nichts MITEINANDER zu tun, sondern meine Trennung von Wolfgang Kuhmann vollzog sich so: Er hatte mir ja bestätigt und geschworen, daß wir gemeinsam Kinder haben werden. Also hatte ich auch die Pille abgesetzt und wurde auch prompt schwanger. Ich erzählte es ihm so freudestrahlend wie möglich bei dennoch einer gewissen Zurückhaltung denn sehr neu war es ja trotz allem. Er reagierte impulsiv und sagte wie aus der Pistole geschossen „Na dann müssen wir das wohl wegmachen!“. Da brach ich innerlich und äußerlich zusammen und war bitterlich / bitterlichst enttäuscht. Ich wußte überhaupt nicht, wie ich reagieren soll und zog aus Verzweiflung zu Hilde Schramm, bei der ich drei Tage lang lebte und nächtigte. Wir führten lange Gespräche. Ich kam zu der von mir von vorneherein vermuteten Entscheidung, die Schwangerschaft zu beenden (realisiert in der Schloßstraße, einer Beleg-Klinik) und mich von Wolfgang Kuhmann zu trennen. Hilde gebührt immer noch großer Dank, daß sie mir damals so beigestanden ist. Wolfgan zog leise murrend aus, hinterließ mir aber noch den Keller, den ich leerräumte. Dabei habe ich mir geschworen, NIE WIEDER IM LEBEN Keller aufzuräumen und schon gar nicht Sachen von Kerls, ein Schwur, den ich dann im späteren Leben mehrfach gebrochen habe …
So fügte sich also mein privates Leben, und nach seiner Scheidung zog Helmut „erst mal“ bei mir in die Willibald-Alexis-Straße mit ein. Es war auch eine schöne Zeit. Ich weiß nicht mehr, ob meine Schwester noch da war. Susanne war nach München gegangen. Sie hatte in Berline einen extrem schön aussehenden Lover, Martin oder so ähnlich, in der Solmstraße, der aber leider dem Alkohol zuneigte und kein Mann fürs Leben war. Aber die beiden waren ein Paar, so wundervoll anzusehen! Übrigens habe ich meiner Freundin Susanne etwas ganz Wichtiges geraten gehabt, da war sie vielleicht 20, 21 Jahre alt: Sie wurde bei uns in Meisenheim ganz schrecklich wegen ihrer Reiterhosen-Beine verspottet, und wirklich hatte sie an den Oberschenkeln in Hüftnähe vollkommen überflüssige Polster von mindestens 3cm zu großer Dicke. Alles Abnehmen funktionierte nicht, diese Streifen blieben bestehen. Ich riet ihr, „das wegmachen zu lassen“. Sie war ganz überrascht über diesen Rat, nahm ihn aber dankend an und realisierte es sofort. Seitdem war sie 1000 Mal glücklicher in ihrem Leben und war diese dumme Sorge los, außerdem fingen erst ab diesem Zeitpunkt männliche Wesen an, sich für diese wirklich schöne und elegante und herzensgute Frau zu interessieren. Wie ungerecht ist die Welt!
In Berlin hatten wir einen Freundeskreis, der auch durch Susanne zusammengehalten wurde, durch ihren Humor, ihre Lebenszugewandtheit. Dazu gehörten Bernd Laurisch und Udo Münch, und Werner Brüssau, langjähriger ZDF-Korrespondant, damals in Ostberlin Leipziger Straße ansässig. Zu seinem 50. Geburtstag, den er auf einem Schiff feierte, durfte ich einreisen, sonst durfte ich oft NICHT einreisen. Ob ich einreisen durfte oder nicht stellte sich immer erst am Grenzübergang heraus, es war nicht vorhersehbar. Viele Grüne hatten in Ostberlin Einreiseverbot. Ich war oft in Ostberlin, und lustigerweise habe ich davon minutengenaue Aufzeichnungen, weil die Stasi alle meine Aufenthalte genauestens protokolliert hat. Ich selbst habe alle diese Aktivitäten vollkommen vergessen gehabt, mir war nicht mehr gewärtig, daß ich im Volkspark Plänterwald Riesenrad gefahren bin, in welchen Cafes ich war, daß wir im Tierpark waren etc. etc. – All das erfuhr ich „ganz neu“ aus meinen Stasi-Akten. Die Stasi-Leute waren gute Beobachter, ein Mal muß es Helmut gewesen sein, der an meiner Seite war (sonst muß es wohl meistens Wolfgang Kuhmann gewesen sein, die Namen sind so effektiv geschwärzt, daß man es wirklich nicht mehr ahnen kann). Als es „ein anderer“ war, der an ihrer Seite war, protokollierte die Stasi, daß dieser andere „ihr“ alles erklärt, gestikuliert etc., das habe der sonstige immer nicht getan. Daher muß es Helmut gewesen sein, der immer schon gerne beim Laufen dann stehenblieb und dozierte und dazu weitschweifende Handgesten malte … Ich hasse das, wenn Menschen beim Laufen stehenbleiben, um einem was zu erklären. Das bekommt dadurch eine aufgedrängte Wichtigkeit, die fast übergriffig ist. Ich hatte das Helmut abtrainiert, aber nun waren wir so lange schon nicht mehr miteinander laufen, daß er es wieder so machen würde, weil es so tief in ihm drinnen sitzt.
Die Stasi-Akten haben mir, auch das ein großes Glück für mich, die Grünen Kreuzberg bestellt, weil sie ein Buch über die Anfänge der Grünen gemacht haben und mich als Zeitzeugin befragt haben und in diesem Rahmen die Stasi-Akten von allen Beteiligten abgerufen haben …
Helmut hat sehr viel später, erst in diesem Jahr wo ich das aufschreibe (2020) auch nach 1,5 Jahren Wartezeit seine Stasi-Akten bekommen, die denn doch sehr dünn ausgefallen waren und so wie er es erhofft hatte: Er hatte einmal ein Werbegespräch mit einem Offizier, und diesem hatte er gesagt, „daß er sich das doch nicht so vorstellen könne“, damit schloß die Stasi-Akte (sehr zu meiner Verwunderung, denn Helmut war ja sehr aktiv in der SEW und in Kreuzberg etc. etc.). Er hatte – Festhalten!!! – von der Stasi den informellen Namen GOLIATH verpaßt bekommen!!!
Also wir sind im Jahr 1989. Ich hatte mein Studium der Geschichte (TU Berlin) wieder aufgenommen, und die TU bot im Sommer Russisch-Kurse in Moskau an. Auch in diesem 1989-er Sommer brach ich auf einen vierwöchigen Russisch-Kurs nach Moskau auf. Ansonsten lebten wir halt zusammen, frönten der Politik und ICH HATTE ZUM ERSTEN MAL IN MEINEM LEBEN EINEN FERNSEHER. Dieser sehr kleine weiße Schwarz-Weiß-Fernseher, ein tragbares Gerät, zeigte uns am 9. November 1989 wie immer um 19.25 die Berliner Abendschau, und die Sache mit dem Zettel von . Wir beide gucken uns an – es war eigentlich Zufall, daß nur wir beide jetzt in der Wohnung waren – stürzten in unsere Mäntel und fuhren wortlos zur Invalidenstraße. Mit dem ersten großen Pulk („Wir fluten jetzt“) schwammen wir in die DDR, ich voller Angst, Helmut wie immer vollkommen angstfrei. Wir liefen in etwa entlang der Mauer zum Brandenburger Tor, was ziemlich ruhig war, Unter den Linden, Friedrichstraße, schauten uns um, immer eingehakt. Wir waren jetzt ein echtes Paar, unterwegs in der Weltgeschichte. Ich habe die Erinnerung, daß wir über die Oberbaumbrücke ausgereist sind, aber Helmut muß recht haben, es muß Checkpoint Charlie gewesen sein.
Helmut wohnte ein paar Jahre bei mir, aber nach einer längeren Zeit hielt er sich wieder mehr in der Stresemannstraße 27 auf, seinem alten Hausprojekt, das er mit vielen anderen in den 70er Jahren durchgezogen hatte. Er hatte dort oben im Vorderhaus, 3. Stock die Wohnung nach vorne zur Straße hin behalten. Diese enthielt ein großes Zimmer zur Straße mit einem nicht nutzbaren Balkon (zu viel Verkehr; nur Sonntags akzeptabel), ein riesiges und kaum beleuchtetes „Berliner Zimmer“; eine kleine Küche von 2 x 2m und ein kleines Bad von weniger als 2 x 2m. Eigentlich sagte er mir gar nicht warum und wieso er sich jetzt wieder hier aufhielt, oder ich habe es vergessen. Ich hatte ihm immer gesagt, daß ich dort nicht einziehen wollte, und wir waren übereingekommen, auch hinsichtlich der geplanten Kinder, etwas anderes, Drittes, woanders zu suchen. Aber eines Tages fragte er mich, ob ich nicht doch mal wieder kommen wollte. Ich so „Ja, warum?“ – „Ja, ob ich nicht doch wenigstens vielleicht die Vorhänge aussuchen wolle …“ – Ich so „Was für Vorhänge?“ … Er so „na, wirst schon sehn, schau’s Dir doch erst mal an“. Ich also dort hin das anschauen, und siehe da, ich dachte ich fall‘ um: Er hatte zu seinen zwei Zimmern ein weiteres Zimmer von Inge Sewig, der Nachbarin, hinzugekauft!!! Dieses Zimmer brauchte Inge Sewig nicht mehr, weil ihre beiden Kinder Sophie und Moriz Hoffmann-Axthelm (Inge Sewig war mit Dieter Hoffmann-Axthelm verheiratet gewesen, und diese beiden Kinder waren in der Stresemannstr. 27 zur Welt gekommen) ausgezogen waren. Donnerwetter! Es war ein sehr großes, sehr schönes und helles Zimmer von ca. 30qm hinzugekommen, mit zwei schönen Altbaufenstern. Den Flurbereich hatte Helmut sehr viel großzügiger ganz neu gestaltet und mit sehr viel Liebe und Detailversessenheit auch eine Gästetoilette und eine Kammer eingebaut. Die Türe zum neuen Zimmer war eine ausgebaute Türe aus einem Altbau, über und über mit dekorativen Schnitzereien übersät, ein wahres Schmuckstück! Und an die Decke hatte er schönsten Stuck angebracht, mit 4 integrierten Lampen, also alle Elektroleitungen neu gemacht … All das hatte er mir zur Freude angedacht. Grrrrrrrrrrrrrrr Es war das Gleiche wie mit seiner Fangfrage damals. Er hatte nur gefragt, ob ich nicht „mal ein bißchen die Vorhänge mit aussuchen will“ – Mit diesem Trick hatte er mich überrumpelt und mit dem Geschenk und seinem Hoffen, daß ich sein neues „Nest“ annehmen werde, mich quasi gezwungen, „Ja“ zu sagen. Ein großer Fehler!
Es war wohl für mich persönlich gesehen mein größter Fehler, diesem Wunsch von Helmut nachzugeben. Aber ich überlegte mir, daß es nun einmal auch sein geliebtes Projekt war, daß er hier in der Stresemannstraße quasi zuhause und verwurzelt ist durch den Anhalter Bahnhof, über den er promoviert hatte, durch die zwei Freilicht-Museen in der Straße, die wir mehr oder weniger gemeinsam realisiert hatten – ich saß ja in der BVV und besorgte die politische Zustimmung, er hatte das Projekt ausgedacht und realisiert … den Mauer-Nachbau zusammen mit Dieter Hoffmann-Axthelm … Nun war ich also eingefangen, aber „so what!“, das würde mich schon nicht umbringen, so dachte ich mir. Erst später wurde ich aufgeklärt, daß eine hintere Tür, die zum Seitenflügel zeigt, zur Wohnung seiner Ex-Frau Ingeborg führt. Diese Tür war natürlich nicht schallgemindert, so daß alle Wohngeräusche von Ingeborg (sie hatte in diesem Bereich ihre Küche) in unsere Wohnung drangen … Ab und zu wurde die Türe auch geöffnet, und man besprach das ein oder andere, wenn ich heute daran zurückdenke, war alles viel zu wenig klar geregelt. Man hätte eine interne Klingel anbringen sollen und eine wirklich wirksame Schalldämmung, die nicht die Übertragung aller Wohngeräusche erlaubt … Ich war jung und zutraulich, und meine Devise (die ich mir trotz allem erhalten habe) lautete: „Ich verstehe mich mit JEDEM!“
Ich baute zunächst mein Studierzimmer in unserem Schlafzimmer auf, ich weiß heute eigentlich nicht mehr warum. Ach so ja, ich wollte daß das Berliner Zimmer erst renoviert wird. Es hatte eine DUNKELBRAUNE HOLZDECKE und einen KOMPLETTEN DUNKELBRAUNEN TEPPICHBODEN!!!!!!!!!!!!!!!!! grrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr Ich weiß nicht, warum ich so schwach war, Helmut selbst hat doch die größten Umbauten woanders immer gemacht, aber hier nur durchzusetzen, daß die Decke hell gestrichen wird, kostete mich Berge von Energie. Auch konnte ich nicht durchsetzen, daß wir statt diesem miesen dunkelbraunen Teppichboden (den er belassen wollte!!!) Parkett oder Laminat verlegten, ich verstehe heute nicht mehr warum. Jedenfalls setzte ich dann also mit Mühe einen sehr hellen, guten Wollteppichboden durch, so daß das ganze Berliner Zimmer eine Art Schafswiese war, in sehr hellem Ton. Dann setzte ich meinen Schreibtisch wie einen Raumtrenner an das – leider verbliebene, dunkelbraune Sofa. Für den Eßbereich, wofür sich nur der Fensterbereich wie üblich eignete, hatte ich einen ovalen Tisch bei Ikea gekauft, den wir heute noch haben. Dieser erhielt eine freundliche Blumentischdecke, so ging es. Ich hatte noch durchgesetzt, daß das Flugzeug-Bad aus Acryl (aus einem Acryl-Teil gefertigt inkl. aller bläulichen Lampen, very spacy sah das alles aus) in ein echtes Bad gewandelt wird, und daß wir statt der 60-er-Jahre-Billigst-Küchenschränke (Spanplatte melaminbeschichtet reinweiß und scharfkantig mit Billigst-Plastikgriffen ihr wißt vielleicht was ich meine …) eine Ikea-Küche einbauen. Das hätte ich mal lieber nicht tun sollen! Denn Helmut wollte unbedingt Verlobter spielen und bastelte EIN JAHR LANG AM AUFBAU DER KÜCHENMÖBEL für eine 2 x 3m große Küche!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! Wir hatten EIN JAHR LANG keine Küche!!!!!!!!! Ich behalf mich mit einem Wasserkocher auf dem Eßzimmertisch, das war alles!!!!!!!!!!!!! Von Dauer konnte das ja alles in Wirklichkeit auch gar nicht sein, weil es hier gar kein Kinderzimmer gab … Ich hatte wohl damals schon viel Selbstbewußtsein verloren, hatte das Gefühl, ich müßte „erst mal richtig schwanger werden“, bevor ich mich mit meinen Wohn- und Familienwünschen richtig durchsetzen konnte. War meine Unsicherheit mit ein Grund, daß ich vor der bleibenden Schwangerschaft mit Charlotte zwei Fehlgeburten erlitten hatte? Hoffte Helmut insgesheim noch immer, von Kindern verschont zu bleiben? Er war traumatisiert von seiner Erfahrung, daß die körperliche Liebe stirbt, wenn das Kind kommt. Die Liebe, das war für ihn sehr stark eben auch der Geschlechtsverkehr, der Sex.
Nun denn, nach zwei Fehlstarts (ich hatte vor Charlotte zwei Fehlgeburten), stellte sich eine haltbarere Schwangerschaft ein. Die Fehlgeburten waren für mich eigentlich nicht etwas so wirklich Schlimmes, aber aus der Rückschau muß ich doch sagen, daß ich viel von meiner Spontaneität und von meinem Vertrauen in meinen Körper und von meinem Vertrauen in mein Glück, und auch von meinem Vertrauen in eine mir wohlgesonnene Umgebung, verloren habe. Anstatt mir den Rücken zu stärken war Helmut für die „pssssst“-Methode, also nur ja fein von der Schwangerschaft zu schweigen, bis sie sich wirklich festgesetzt habe … Das heißt aber drei Monate lang mit Biß auf die Zunge herzumzulaufen … Sowieso sagt Helmut öfter den Satz „Toujours en penser, jamais en parler“ („immer dran denken, niemals drüber reden“), der so typisch für die französische Hartherzigkeit steht, die noch hartherziger ist als die deutsche – und das Gegenteil von meiner gewünschten, offenen Lebensart. Denn statt daß sich bei „Niederlagen“ die Reihen schließen und Verständnis, Hilfe, Solidarität signalisiert wird, geht ein fröhliches Freuen über das „Versagen“ der anderen durch die Reihen, am besten noch gepaart mit den Anfragen beim Betroffenen, ob man nicht „ein bißchen“ die Schuld auch bei sich selber suchen sollte, das sei ja rein freundschaftlich gemeint diese Anfrage … Ich will hier gar keinen anklagen, denn das sind alles ganz allgemein menschliche Verhaltensweisen, aber es wäre doch an der Zeit, empathisches Fühlen und Verhalten in der Praxis stärker zu lehren und zu lernen. Denn es ist doch eigentlich ganz unnötig, daß wir uns gegenseitig Verletzungen hinzufügen, wenn Menschen schon sowieso getroffen sind. Davon geht es keiner einzigen Menschenseele besser, und schon allein aus diesem Grund würde es die Mühe lohnen, bessere Verhaltensweisen zu trainieren und zu etablieren. Ich denke mir manchesmal, wenn alle Menschen „keine“ Schäden in der Kindheit durch falsche Erziehungsvorstellungen nehmen würden und „keine“ Schäden durch unnötiges unsolidarisches Verhalten ihrer Umwelt, was hätten wir nicht für Prachtexemplare von Menschen, die jede Menge Zeit und Kapazität freihätten, um sich um andere, die Umwelt, den Frieden, um die Stadt und um die Schönheit zu kümmern …
Nun ging es also wirklich in Richtung Kinderkriegen, mit der dritten Schwangerschaft. Lange davor hatte ich mein Studium abgeschlossen, mit einer Arbeit über das Kaufhaus Wertheim am Leipziger Platz Außerdem hatte ich eine sehrs chöne Semesterarbeit einmal über Friedrich Gilly gemacht, die ich heute noch habe. Dabei habe ich das Berliner Mietshaus als Typ NICHt von einem gereihten Hinterhaus etc. abgeleitet, wie es in dem Standardwerk von Geist / Kürvers „Das Belriner Mietshaus“ gemacht wurde („Meyers Hof“ und die Vogtland-Siedlung, über die Bettina von Arnim den „Brief an den König“ geschrieben hatte, eine Armensiedlung). Sondern ich habe das Berliner Mietshaus vom Berliner Schloss abgeleitet!!! Diese Arbeit ist sehr lesenswert, ich sollte sie einmal als Buch herausbringen!
Immer dachte ich, dass ich KEINE Bücher schreiben wollte. Denn besser als Goethes Faust und das Buch „Ästhetik des Widerstands“ könnte doch kein Buch sein, so dachte ich mir, und wenn ich ein Buch schreiben sollte, dann müsste es wohl besser sein als diese beiden besten Bücher. Da ich das nicht schaffen werde, habe ich beschlossen KEINE Bücher zu schreiben, auch um mich nicht so stark aus dem menschlichen Geschehen zu absentieren (ich war umgeben von Freunden, die mir sehr oft zuriefen „Annette, ich habe keine Zeit für Dich, ich muss mein neues Buch fertig schreiben!“).
Die Geburt von Charlotte war eine tolle Glücksgeschichte im Urban-Krankenhaus in Kreuzberg abgesehen von der Tatsache, dass ich mir dummerweise KEINE Peri…?-Spritze hatte geben lassen, so dass ich doch sehr große Schmerzen hatte. Wie üblich war ich im allerletzten Moment in die Klinik gegangen – ich glaube ich fuhr mit dem Fahrrad dorthin, weil es keine ordentliche Verbindung dorthin gab. Der vormals 241er Bus fuhr m. E. damals eine andere Strecke … Die Zeit bis zu den echten Wehen vertrieb ich mir glaube ich mit Telefonieren. Es war schön, in dauernder Beobachtung zu sein, man wurde ständig an den „Wehenschreiber“ oder so ähnlich angeschlossen, und da wurden solche Kurven aufgezeichnet … Dann ging es mehr zur Sache, und ich hatte gesagt, dass ich in warmem Wasser gebären wollte. Aber Charlotte kam nicht raus, so dass ich am Ende doch konventionell auf einen Tisch gelegt wurde und Charlotte rauspressen musste. Es dauerte alles ein bisschen zu lange, aber insgesamt war alles gut und okay. Helmut war mit dabei, und dann kam das Kind heraus, wirklich ein riesiges Wunder, das konnte man nicht fassen. Das Kind war ganz sauber, musste nicht gewaschen werden, und Charlotte begrüßte die Welt mit ihrem üblichen 12-maligen Niesen.
Die erste Zeit war natürlich stressig, und ich weiß nicht mehr viel. Ich weiß aber dass ich einmal sehr verzweifelt mich fühlte, und in dem Moment hat mich der liebe Gott an der Schulter berührt. Ich hätte wirklich schwören können, dass es so war, es war sehr tröstlich und hilfreich. Ganz viel später habe ich gelesen, dass der Körper solche Phänomene „erfindet“ wenn das Stress-Level zu hoch gestiegen ist.
Etwa zwei oder drei Wochen nach Charlottes Geburt zogen wir – so ziemlich aus Verzweiflung – nach unten in das Hochparterre ein. „Verzweiflung“, weil Helmut mir immer sagte, ich sollte mich „ein bißchen“ um die Handwerker dort unten kümmern … Wie sollte ich bitteschön mit einem frisch geborenen Kind nach unten gehen und dort die Handwerber beaufsichtigen??? Das war vollkommen unmöglich, ich konnte ja das Neugeborene eigentlich KEINE SEKUNDE alleine lassen. So habe ich ganz alleine und für mich beschlossen, daß es nur geht, indem wir nach unten „ziehen“. Nun war aber „unten“ noch gar keine Wohnung! Einzig und alleine das Schlafzimmer war einigermaßen fertig, daher beschloss ich, unser komplettes Schlafzimmer zu „nehmen“ und es 1 : 1 nach unten zu transferieren. So schliefen und „lebten“ wir also ab sofort „unten“, wobei es noch kein fertiges Bad gab, keine Küche, und im Flur (9m lang) war eine Holzbalkensanierung im Gange, die dazu geführt hatte, dass statt einer Flurdecke hier nur Luft war in Richtung Keller und EIN Balancier-Balken, auf dem man über diese Luft balancieren musste!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! Ich mit dem neugeborenen Kind in der Tragetasche vor Brust und Bauch. Ich kann heute wirklich überhaupt nicht mehr verstehen, wieso ich das mitgemacht habe, im Grund der reine Wahnsinn.
Aber der schlimmste Wahnsinn ging eines Tages vorbei. Ich hatte in einsamer Entscheidung eine Küche bei Möbel Hoffmann bestellt, worauf Helmut gelbe Pickel an Kopf und Körper zu bekommen befürchtete. Ich aber sagte „Selbstbau wie oben ein Jahr lang kommt mir nicht mehr ins Haus“. Die wundervolle Fertigküche, die ich bei Hoffmann ausgesucht hatte, kostete nur 8000 DM mit allen Geräten (Spülmaschine, Kühlschrank, Herd mit Ceranfeld, Abzughaube) UND mit Einbau. In zwei Tagen war sie ruck-zuck etabliert, mit Wasseranschluss und allem drum und dran, und heute, 25 Jahre später, steht sie wie eine eins und alle Schubladen und Schränke und Geräte funktionieren wie am ersten Tag. Und Helmut bekam auch keine Pickel und findet die Küche heute wunderbar. Wir hätten uns damals fast getrennt weil Helmut so eine Pauschal-Küche irgendwie nicht ertragen wollte.
Wenige Zeit vorher hatte ich dummerweise meine wundervolle Arbeit an der FHW aufgegeben. Das kam so: erstens dachte ich, dass ich in der ersten Zeit mit Kind nicht arbeiten gehen kann. Außerdem dachte ich mit meinem Abschlusszeugnis meines Studiums an der TU (Geschichte: Neuere Geschichte, Alte Geschichte und Alte Sprachen) stehen mir ab sofort alle Türen zu besseren Jobs offen als hier weiter nur Tippse zu sein. Und drittens hatte ich dort eine gestörte Beziehung mit einem neuen Verwaltungschef, den ich gar nicht mochte. Es ging mir auf die Nerven dass er von morgens bis abends kaugummikauend durch die Gegend rannte. Viel mehr weiß ich aber nicht mehr, er trug immer so eine schwarze Lederjacke das mochte ich auch nicht. Ich sagte, dass ich kündigen wolle, und zwar so schnell wie möglich. Da erklärte er mir, dass ich nicht vor einem halben oder ganzen Jahr gehen könne. Das machte mich rebellisch, wie konnte das sein, dass ich angeblich nicht kündigen könnte? Ich machte mich kundig und fand heraus, dass ich sehr wohl recht plötzlich kündigen konnte, was ich dann auch tat, quasi aus Wut, dass dieser Mann mir das verbieten wollte. Mir ging das Lied von „Frau Meistrin, leb sie wohl: Ich sags ihr grad frei ins Gesicht ‚Dein‘ Arbeit die gefä-hält mi-hir nicht‘, ich will mein Glück probieren, marschie-hieren“. Es hatte etwas mit meiner Menschenwürde und Freiheit zu tun, diese Arbeit zu kündigen, zu dumm aus heutiger Sicht. Denn es war ein schöner Job: Nette Profs. eine nette Atmosphäre an der Uni, zentral gelegen, eine nette Kantine mit leckerem Essen und eine nette Kollegin! namens Ramona, aus Ahrensfelde, das war neu, Kräfte aus dem Osten. Sie war wirklich sehr nett und sagte immer „urst“. Das kannte ich vorher nicht. Vorher hatte ich eine Kollegin Monica, mit der ich sehr gut befreundet war, sie kam mit ihrem Mann als Flüchtling aus Chile. Ihre Söhne German und Inti waren langsam groß geworden, und in Chile war die Diktatur vorbei, die meisten Chilenen gingen damals zurück, so auch sie. Sie kaufte oder mietete ein Haus in Santiago de Chile und schaffte sich als erstes einen Hund an: Ohne Hund könne man in Santiago überhaupt nicht sicher leben, das sei ausgeschlossen. Ich war noch lange in Briefkontakt mit ihr, leider haben wir den Kontakt verloren, sie heißt Monica Werkmeister de Schubert und wohnte oder wohnt in Santiago de Chile, Tipungato 9047 / Vitacura – wenn jemand von ihr eine Telefonnummer oder e-mail-Adresse mir besorgen könnte, wäre das wunderbar.
Der Kinderwunsch stand, aber die Frage nach dem Studienabschluss war, ob ich gleich weiter so einsam sein wollte wie zu der Zeit meines Fertig-Studierens. Nein, ich wollte noch mal zurück ins Leben, bevor ich mit einem Kind einsame. Und daher stürzte ich mich in den Städtebau. Ich hatte mit Helmut zusammen kurz nach der Wende die „Gesellschaft Historisches Berlin“ gegründet, mich dann aber bald aus dem aktiven Teil zurückgezogen (ich schrieb damals die Texte, Motto „von einem Tor, das sich ins Nichts öffnet zu einem Schloßplatz, an dem es kein Schloß gibt“). Nun stürzte ich mich ins Getümmel, rief zu 16 Bürgerbegehren in den 16 Bezirken auf, und wir sammelten eifrig Unterschriften, ich glaube 200.000 Unterschriften haben wir damals gesammelt. Mit ganz tollen Info-Ständen, von denen ich gleich 20 bestellt habe, Stehtische und schöne Grafik-Plakatwände. Das war wirklich eine tolle Aktion. Die GHB (Gesellschaft Historisches Berlin) machte erst nicht mit, da folgte ich wieder meinem Motto „Annette, vertrau Deinem Gefühl“ und zog das ohne die GHB durch. Am Ende war es so erfolgreich, dass auch in diesem Falle die GHB am Ende einlenkte und wir uns wieder verbrüderten und zusammenschlossen. In der Folge wurden ich und Helmut in die Führung der GHB gewählt, die schönste Zeit war, als er Vorsitzender und ich Geschäftsführerin war. Wir waren super effektiv und fühlten uns auch gut – gesehen und geschätzt von den anderen, in unserer Arbeit wertgeschätzt, und wir hatten ja auch Erfolge: Der Lustgarten wurde grün, die Denkmäler der Straße Unter den Linden kamen zurück, es wurden die historischen Kandelaber aufgestellt, was der Straße viel Flair zurückgegeben hat, und das fehlende Schlußstein, die sogenannte Kommandantur (Unter den Linden 1) wurde weitgehend rekonstruiert; der BESCHLUSS für die Bauakademie; der Beschluss für das Schloss … und so weiter und so weiter …
Dann wurde es aber von meiner biologischen Uhr her langsam Zeit, so daß ich die Pille absetzte und prompt schwanger wurde. Wie schon erwähnt, schoben sich aber erst einmal zwei Fehlgeburten vor Charlottes Geburt. Ich fand das nicht sooooo schlimm aber emotional anstrengend war es natürlich.
Mit der neugeborenen Charlotte lebten wir uns aber doch schnell ein. Aber alles war natürlich am Anfang aufregend. Beim zweiten und dritten Kind war das dann nicht mehr so aufregend.
Recht bald sprach ich vom zweiten Kind, Helmut meinte dazu nur: „Warten wir doch erst mal, wie es mit dem ersten läuft“ – seit dieser Zeit hat das Wort „erst mal“ bei mir Hausverbot. Ich war damals 41 Jahre, ich hatte doch keine Zeit mehr zu verlieren, und was sollte das denn bedeuten „warten wir doch erst mal“ – nein nein das kam überhaupt nicht in Frage. Und ich wurde auch recht schnell wieder schwanger und genoß die zweite Schwangerschaft. Das war überhaupt schön, das Schwanger-Sein: einerseits weil sich viele medizinische Kräfte nett um einen kümmerten, man war irgendwie wichtig und anerkannt mit der „Frucht“ im Leib, und andererseits weil ich essen durfte, so viel und was ich wollte. Das war einfach grandios. Von meiner zweiten Geburt am 15. August 1999 mit Magnus ist mir viel verblaßt, wohl durch seinen Tod überlagert. Der Tod war schrecklich, Magnus hatte sowieso immer recht ruhig geschlafen, und als ich ihn aufwecken wollte und drehte, sah ich dass hier alles zu spät war. Natürlich rief ich trotzdem die Feuerwehr, aber es war klar, dass das Kind tot war. Mit so etwas hatte ich überhaupt nicht gerechnet, und ich schrie vor Schmerzen. Das war dumm, denn Charlotte konnte das nicht verstehen und hat sicherlich davon einen kleinen Schaden mitgenommen. Sie hatte mir vorher, obwohl sie ja noch sooooooo klein war, beim Wickeln und Betreuen des Säuglings geholfen und zugesehen, daher kaufte ich ihr eine Puppe in der Größe von Magnus und durch Zufall hatte die Puppe auch Magnus‘ Gesichtszüge. Mit der Puppe machten wir weiter wickeln und schlafen legen usw. Ich glaube das war eine ganz gute Methode, langsam das Leben von Magnus ausgehen zu lassen. Psyhologenhaben mir später gesagt, dass ich das richtig gemacht hätte.
Als Magnus zur Welt kam, fühlte ich mich innerlich so extrem glücklich und ein bisschen diebisch froh, weil es nun DOCH gelungen war, die Kinderfolge selbst zu reproduzieren, in der ich geboren wurde. Wir drei Geschwister kamen auch GENAU so auf die Welt, im Jahresabstand, und zuerst meine Schwester Ulrike, dann mein Bruder Hartwig mit ca. 1 Jahr Abstand genauso wie zwischen Charlotte und Magnus, und dann ich, wiederum mit ca. 1 Jahr Abstand. Ich dachte also innerlich „Ich bin jetzt die glücklichste Mutter der Welt“ und „das klappt ja wie am Schnürchen“, aber ein geheimes grummeliges Gefühl signalisierte mir schon „Glück und Glas, wie leicht bricht das“ – irgendwie rechnete ich mit einem Schicksals-Schlag, der mir alles wieder wegnehmen würde. Dieser kam denn auch am 13. Oktober 1999 – was nicht schön ist, denn es ist sozusagen mein umgedrehter Geburtstag, und ich mag ja den Oktober sehr gerne. Leider ist seitdem der ganze Zeitraum August bis Oktober von Magnus‘ Tod bis heute überschattet, ich kann es nun einmal nicht anders empfinden und leben.
In der Folge kämpften wir verbissen um ein drittes Kind. Zwar wurde ich gleich wieder schwagner, aber ich ahnte es schon, es würde bestimmt wieder eine Fehlgeburt werden, was auch eintrat. Bei mir wurde es langsam eng mit meinem Lebensalter, so dass ich den Rat von Kinderwunschkliniken suchte. Man riet uns zur Insemination. Das bedeutete Geschlechtsverkehr zu machen und dann den Samen in ein Röhrchen zu leiten. Dann in Windeseile zur Klinik, den Samen aufbereiten lassen und dort vor Ort in die Gebärmutter einführen lassen. Das haben wir viele Monate so gemacht, ohne dass ich schwanger wurde. Zusätzlich spritzte ich Hormone, so daß mehr Eizellen sich auf den Weg machten … An einem Morgen war ich plötzlich sicher, dass es klappt. Das war kurz, nachdem mir der Art fast mich anschreiend erklärt hatte, dass ich „nie wieder“ schwanger würde, und daß ein Sechser im Lotto für mich wahrscheinlicher wäre als daß ich noch mal schwanger würde … das hat mich so wütend gemacht, daß ich glaube,daß aus der Wut heraus dann doch alles geklappt hat. Ob Doro an diesem Morgen durch unseren natürlichen Geschlechtsverkehr entstanden ist (den wir auch hatten) oder durch die Insemination – die ich an diesem Morgen in aller Hektik auch noch durchführte … ich erinnere mich jedenfalls noch gut an meine sehr wohlgemute Reise mit der U6 bis Kaiserin-Augustta-Straße, dann dieselbe „runter“ bis zum einigermaßen schönen Metzplatz, dort im „Wenckebach“ saßen die Kinderwunsch-Doctores …irgendwie war ich sicher, dass es dieses Mal klappte und wirklich so war es auch …
Und dieses Mal machte mir kein Tod einen Strich durch die Rechnung, sondern Dorothea kam gesund und genauso sauber wie Charlotte auf die Welt, ebenso wie Charlotte und Magnus im Urban Krankenhaus und doch auch ging alles um so vieles leichter, so wie man ja auch sagt, bei der dritten Geburtt geht alles leichter … so war es ja auch bei mir selbst, bei meiner eigenen Geburt vor nunmehr vielen, vielen Jahren gewesen … Dass wir gleich mit dem Kind nachhause gehen würden, hatten wir dieses Mal gleich schon vorher verkündet, und so warteten wir denn nach getaner Gebärarbeit in einem netten Warteraum ein bis zwei Stunden zur Vorsicht, falls noch größere Blutungen kämen, schnappten dann ein Taxi und fuhren beglückt um ein Leben reicher zurück in die Stresemannstraße.
Nun aber machte mir dieses Kind jede Menge Striche durch unbekannte Rechnungen – Dorothea kam total unzufrieden in diese Welt! Alles sollte nach ihrer Vorstellung anders sein, daher war sie ständig am Ist-Zustand frustriert. Wie sie es schaffte, diese Haltung auch schon als Kleinst-Säugling zu demonstrieren, ist mir zwar heute schleierhaft, aber ich spürte das alles schon in den ersten Tagen. Von Schlafen keine Spur, ihr reichte es, manchmal unbemerkt die Lider zu schließen, um dann wieder stundenlang wach zu sein und vor allem zu protestieren. Die einzige Möglichkeit dass sie halbwegs zufrieden war, war nun einmal, sie im Trageteil („Babybjörn“) in der Gegend herzumzutragen. Durch diese Extrem-Situation habe ich erfahren und gelernt, dass der Mensch sogar im GEHEN schlafen kann, ich bin häufig eingeschlafen WÄHREND ich mit ihr umherlief, was ich dadurch merkte, dass ich irgendwie schräg gegen eine Tür rasselte.
Doro hatte immer doppelt so viel Appetit wie andere Kinder, blieb aber dabei recht schlank. Ich hatte den Eindruck, dass Charlotte mehr den schnell mit Fettaufbau reagierenden Stoffwechsel von mir geerbt hatte, und Doro mehr nach meiner Schwester Ulrike kam, die immer von Natur aus schlank war und nie groß zugenommen hat, obwohl sie als Kind immer mehr und hastiger gegessen hat als ich. Das habe ich ihr immer sehr geneidet, sie war dadurch einfach besser aussehend, klassischer, während ich immer in Tendenz Pummelchen unterwegs war, auch vor allem im Gesicht. Ulrike hatte dunkle, glatte Haare und dunklere Augen, war dadurch sozusagen eine „rassische“ Schönheit wie man damals sagte oder Rasse-Frau, während ich mehr blonde und lockig-gewellte Haare hatte und dadurch „leichter“ wirkte, weniger klassisch-schön, sondern kindlicher. Ulrike war auch größer und langgriedriger als ich, während meine Formen etwas gedrungener waren / sind.
Als Doro noch nicht laufen konnte, wollte sie auf dem Wickeltisch schon unbedingt das Hüpfen und Springen üben, auch sogar mit hohem Fieber.
Doro hatte Pech, im Haus und in der Nachbarschaft gab’s keine anderen Kinder. Einzig Nico war in der Nachbarschaft. Nico kam bei einem tragischen Eisenbahnunfall ums Leben.
Zu ihrer Kita-Zeit zog die Kita von der Halleschen Straße um in die Wilhelmstraße, die Gruppen wurden neu organisiert. Sie war auch nicht in der Gruppe von Sabine untergekommen, wie ich gehofft hatte, weil Sabine m. E. die Kita verlassen hat. Silke und Angelika haben sie hauptsächlich betreut.
Auch bei der Einschulung hatte ich ein bisschen Pech mit Doro, ich hatte mir so gewünscht, dass sie zur Lehrerin von Charlotte kommt, Susanne ???, aber nein, sie kam in eine bunt gemischte Klasse, vo, n der das Gerücht ging, dass sie ein bisschen schwierig sei … Hier in ihrer Klasse war kein Kind welches hier auch wohnte. Emma, Tasnim und ein persisches Mädchen waren ihre nähesten Freundinnen. Immerhin lebte das persische Mädchen recht nah in der Nähe.
In der dritten Klasse etwa drei Monate vor dem Ende des Schuljahrs zog sich Doro eine Gehirnerschütterung zu. Dazu kam, dass in diesem Jahr die Lehrer ein Sabbatjahr genommen hatten. Die Stammlehrerin sollte erst wieder im Jahr darauf zurück sein. Daraufhin beschlossen Schule, Dorothea und ich, dass Doro erst wieder im folgenden Schuljahr zur Schule gehen wird.
Es war nicht ganz selten, dass sich Doro beim Toben eine Verletzung zuzog, aber es war jetzt auch nicht wriklich exorbitant viel. Aber sicherlich ein bisschen mehr als bei „durchschnittlichen“ Kindern.
Ich bin mit Doro zu sehr vielen verschiedenen Sportangeboten gefahren, aber es passte am Ende nichts. Recht schnell immer nach drei, vier Besuchen gaben wir auf. Nur das Schwimmen betrieben wir kontinuierlicher. Allerdings wolltendie Trainerinnen eines Tages Doro zur Wettkampf-Schwimmerin heranziehen, das wollte sie nicht, und so ging auch das Schwimmen auseinander.
Richtig gut wurde es erst, als Doro mit Charlotte zum Zirkus Cabuwazi in Kreuzberg gehen konnte. Diese Herausforderung, und die pädagogischen tollen Fähigkeiten der dortigen Erzieher und Trainer kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Von nun an ging’s bergauf! Doro wurde immer selbstbewusster und auch kam sie mehr mit sich selbst ins Reine.
Die Schule hatte große Probleme mit Doro, es kam sogar der Punkt, dass sie vielleicht die Schule verlassen sollte. Wir wurden zur Kreuzberger Psychologin in der Honrstraße geschickt. Diese sagte mir gleich bei der ersten Stunde: „Schule ist dazu da, dass das Kind lernt, dass es zu funktionieren hat!“ Da guckte ich diese Frau sehr entgeistert an und machte auf dem Absatz kehrt.
Wir schauten uns auch die umliegenden Schulen an (Fanny-Hensel-Schule, Adolf-Glaßbrenner-Schule, Lenau-Grundschule und auch noch zwei Schulen in Schöneberg an, aber Doro wollte unbedingt auf der Clara-Grunwlad-Schule bleiben. Irgendwie ging das dann auch, es wurde aber geraten, dass sie in der unterstützenden Mädchengruppe in der Großbeerenstraße Sonderförderung bekommt. Das war sehr gut, die beiden liebevollen Betreuerinnen Isabel und ??? machten wirklich ganz wunderbare Dinge und fuhren mit den Mädchen auch mehrfach auf einen schönen Hof.
Wir hatten auch Tanz in der Möckernstraße angefangen, Yiu Yitsou am Tempelhofer Ufer, und verschiedene andere Dinge. Das Yiu Yitsou währte länger als vieles, das oft nicht währte.
Als wir einmal zu Tasnim zum Geburtstag mit der U-Bahn fuhren (sie wohnten weit südlich in Tempelhof oder Mariendorf), goss uns ein Betrunkener eine Flasche Whiskey über unsere Mäntel und lallte und blöde an. Gottseidank wurde Doro nicht getroffen, nur ich. Aber Doro hatte einen schweren Schaden dadurch und konnte ca. 2 Jahre lang im Anschluß daran oder länger nicht U-Bahn fahren und auch nicht Bus fahren. Daher suchte ich für Kindertransport-Zwecke eine Rikscha, die ich auch fand, und zwar in Strausberg. Der Verkäufer brachte sie mir an den Bahnhof. Mit der Rikscha in der S-Bahn fuhr ich bis Friedrichstraße, aber was dann? Ich fand eine Gruppe von 4 kräftigen Männern, die mir die Rikscha runter auf die Friedrichstraße bugsierten. Mit großer Mühe fuhr ich die Rikscha durch die Friedrichstraße nachhaus zu uns. Schon auf dieser kleinen Strecke merkte ich, dass das wahrscheinlich nicht gutgehen würde, es war viel zu anstrengend, und ich konnte das Gefährt kaum lenken. Auch gab es keinen ordentlichen Abstellplatz für das unhandliche Gerät, so dass ich es bald weiterverkaufen wollte. Irgendwie fand ich einen Abnehmer bei uns in der Gegend in der Großbeerenstraße.
An einem Weihnachten hat Doro meinen Bruder Markus mit Kartoffeln beworfen. Es kam zum Eklat, sie sollte sich entschuldigen, aber dazu war sie mental noch gar nicht in der Lage. Es gab nicht selten solche Situationen, die einfach „unmöglich“ waren, aber es war doch nicht ihre „Schuld“, sie wußte es einfach nicht besser. In all der Zeit, auch als es an der Schule so schwierig war, stand ich hinter ihr und habe ihr immer beigestanden, sie immer bestärkt, aufgefangen, getröstet. Ich habe sie oft noch auf dem Rücken herumgetragen, bis sie ungefähr 13 Jahre alt war.
So manch einer sagte mir damals „sie ist ja ein schreckliches Kind, das macht Dich kaputt, gib sie weg, ins Internat!“ – aber das kam für mich überhaupt nicht in Frage.
Mehr Glück hatten wir mit einer Psychologin in der Bergmannstraße, die uns riet, einen Hund für Doro anzuschaffen. Als akuter Grund kam damals hinzu, dass Doro sich unbedingt ganz eng mit unserem leicht bissigen Terrier „snoopy“ anfreunden wollte, was dieser mit Knurren und Schnappen quittierte. Ich war in höchster Not! Aber der Rat der Psychologin, einen kleinen Hund als Welpen für Doro anzuschaffen, war gut. Ich konnte Snoopy sehr gut nach Köpenick vermitteln, an die Mutter von Marina, die soeben ihren Hund verloren hatte. Mutter und Tochter hatten zwei angrenzende Häuser dort, und zwei große Grundstücke. Dort konnte Snoopy wunderbar unterkommen, auch lief er mit der älteren Dame jeden Tag viele Kilometer. Als Doro den kleinen Welpen bekommen sollte, protestierte Charlotte: „Ach so, Dorothea bekommt einen Welpen, und ich, der ich immer einen Welpen haben wollte, habe keinen Welpen bekommen???“ – Da sagte ich, wenn es sein soll, dann hofen zwir eben ZWEI Welpen aus diesem Wurf, zwei Schwestern. Beide waren obersüße Hunde, Mischlinge zwischen Zwergpudel und Chiwawa, wunderbar anzusehen und beide von einem ganz sanften Charakter. Nun begann also die Welpen-Erziehungszeit, welche Zeit ich als sehr glücklich in Erinnerung hatte. Unsere zwei Welpen entwickelten sich prächtig, hörten auf zu bellen, lernten alle Befehle, blieben auch allein, wenn es nötig war, liefen gut an der Leine – es war eine Wonne. Und Doro war mit ihrem „Löckchen“ – den Namen hatte sie ihrem Hund gleich am ersten Tag gegeben – völlig glücklich. Hier bestand auch keine Gefahr mehr des Beißens, es war eine wirklich gute Idee gewesen der Kinderpsychologin in der Bergmannstraße, zum Welpen zu raten.
Löckchen haben wir erst weggeben müssen, als ich mir die Hüfte gebrochen hatte (Oktober 2020) und ich auf Monate würde mit Krücken laufen müssen. Katja hat eine Unterbringung bei einer Freundin besorgt. Katja ist ja Helmuts erste Tochter, geboren 1975 und sehr groß gewachsen (ca. 1,87m groß). Sie hatte im Jahr 2015 am 26. Oktober eine Tochter Liesbeth geboren. Als Liesbeth etwa zwei Jahre alt war, verliebte sie sich in Löckchen, und Löckchen sich in sie. Diese Geschichte war aber sehr anstrengend, denn nicht immer konnte Löckchen mit Liesbeht gehen, wenn Liesbeth hier im Haus war. Löckchen aber lauerte nur so darauf, ob sie Stimme oder Bewegung von Liesbeth hören würde. Darauf reagierte sie mit einem sehr lange anhaltenden, lauten Geschrei und Gejammer. Das war wirklich schlimm und ruinierte meine Nerven. Nur um dieses Geheul zu kontrollieren, reaktivierte ich die Babyphone, kaufte auch neue Teile wieder, weil ich vieles von den alten Babyphonen weggegeben hatte. Zu diesem Zeitpunkt war Doro nicht mehr so stark an Löckchen interessiert, eine Übernahme von Löckchen durch Katja und Liesbeth wäre eigentlich wünschenswert gewesen. Aber es kam nicht dazu. Nur um Liesbeth den Gefallen zu tun behielt ich Löckchen, obwohl ich dazu nervlich eigentlich gar nicht mehr in der Lage war. Das war extrem.
Marina, die Snoopy für ihre Mutter gefunden hatte, kontaktierte uns eines Tages, ob wir vielleicht Tekkila – der Welpe von Charlotte – weggeben wollten. In der Tat waren zwei Hunde sehr anstrengend, und Charlotte interessierte sich eigentlich gar nicht mehr für Tekkila, war einverstanden, dass ich Tekkila zu Snoopy und Marina nach Köpenick gebe.
Ich hatte in den ganzen Jahren eine z. T. turbulente politische Zeit durchgemacht. Etwa zur Jahrtausendwende gründete ich mit anderen in Berlin die „STATT-Partei“. Schon längere Zeit hatten wir über eine Parteigründung nachgedacht. Dann kamen plötzlich Neuwahlen, und wir dachten, dass wir diese Situation nicht umgehen könnten, gründeten hals über Kopf einen Berliner Landesverband der Stattpartei. Eigentlich waren wir alle mehr linke Leute oder der Sozialdemokratie verhaftet, aber der formale Mantel der Stattpartei aus Hamburg machte die Gründung leichter. Immerhin ergatterten wir bei der ersten Wahl rund 2,5%, für den Anfang eigentlich nicht schlecht. Dennoch lief das alles schnell auseinander, die Stattpartei wurde dann aufgelöst. Von dieser Geschichte hatte ich natürlich einen Image-Schaden abbekommen, und bei der Gesellschaft Historisches Berlin sah man die Sache auch kritisch. Ich trat als Vorsitzende zurück und empfahl die Wahl von Birgit Lucas, was mit einer hauchdünnen Mehrheit dann auch geschah. Allerdings sind aus der GHB damals die jungen Männer gesammelt ausgezogen und haben einen eigenen Verein gegründet, „Stadtbild Berlin“. Sie definierten sich von Anfang an as Männer, hatten in der Satzung festgehalten, dass zu den Vereinssitzungen Anzug und Krawatte zu tragen sei. Frauen waren bei den Bekleidungsvorschriften nicht vorgesehen.
Die Vorsitzendenschaft von Birgit Lucas an meiner statt würde ich als nicht glücklich bezeichnen. Es kam zu zu großen Konflikten zwischen Männern und Frauen, viele Mitglieder traten aus, und im Verein machte sich eine große Unzufriedenheit mit der Untätigkeit der GHB in Sachen Neues Museum und Museumsinsel breit. Man bereitete interne Unruhen vor, eine „Arbeitsgruppe Museumsinsel“ erarbeitete eigene Pläne und arbeitete weitgehend autonom, ohne vom Vorstand dafür Genehmigungen einzuholen. Diese Arbeitsgruppe kam dann auf mich zu, ich solle sie verstärken. Im Vorstand war eine Position vakant geworden, Bernd Wendland war als stv. Vorsitzender zurückgetreten. Da schlug ich Birgit Lucas vor, dass ich als stc. Vorsitzende – oder als Pressesprecherin, oder als Arbeitsgruppenleiterin, ganz egal – wieder „mitspielen“ könnte. Aber Birgit Lucas wollte das nicht. So blieb der Posten des stv. Vorsitzenden vakant, was die Unruhe verstärkte. Der Antrag auf Nachwahl des stv. Vorsitzenden wurde vom Vorstand zurückgewiesen (im Prinzessinnenpalais, auch genannt Opernpalais). Daraufhin gab es Bestrebungen, den Vorstand abzusetzen. Im Rückblick alles eine ganz unschöne Zeit, aber ich weiß nicht, wie man es hätte anders machen sollen. Im Jahr 2006 wurde also der Vorstand abgewählt und ein neuer Vorstand gewählt, bei dem ich nun wieder an der Spitze war. Aber diesem Vorstand war auch keine lange Zeit gewährt, im Jahr 2008 hatte sich wiederum eine neue Renegatengruppe zusammengefunden und dieses Mal MICH abgewählt bzw. eben nicht wiedergewählt, sondern einen neuen Vorstand unter Gerhard Hoya gewählt. Für diese Wahlen hatte Gerhard Hoya einige Freunde und Verwandte in den Verein geschleust, einige wenige genügten, um mit knapper Mehrheit einen Vorstand ohne meine Person zu bilden. Daraufhin zogen wir, meine Anhänger und ich, aus dem Verein aus und bildeten wiederum einen neuen Verein: „Berliner Historische Mitte e. V.“ – aber auch diesem war kein Glück beschieden, statt wie vorgesehen mich zur Vorsitzenden zu machen, gelang es Beate Schubert, die wenigen Mitglieder davon zu überzeugen, dass sie den Vorsitz übernehmen sollte – „nur für ein halbes Jahr“ – Daraus wurden dann mehrere Jahre, und ich hatte also in der ganzen Szenerie überhaupt kein Amt. Das änderte sich dann erst wieder im Jahr 2014, als ich wieder zur Vorsitzenden gewählt wurde. Beate Schubert hat daraufhin die „Arbeitsgruppe Historische Mitte“ definiert, ich persönlich bin an dem Punkt wo ich vorschlage, die beiden Gruppen zusammenzufügen, als unformale „Arbeitsgruppe Historische Mitte“.
Wir haben viele Protestaktionen durchgeführt, mehrere Jahre lang gegen die „Wippe“ (das Einheitsdenkmal, welches an der Schloßfreiheit gebaut werden sollte) demonstriert. Später schoben sich Klimafragen in den Vordergrund, zusammen mit Jenny Schon habe ich über ein Jahr lang für mehr Klimaschutz an der Gedächtniskirche demonstriert, was mir den Titel „Greta von Berlin“ eingebracht hat.
Charlotte hatte mit der weiterführenden Schule großes Glück und konnte mit ihren beiden Grundschul-Freundinnen Clara und Olga gemeinsam dorthin wechseln. Sie blieben in einer Klasse bis zum Schluss und sind bis heute eng befreundet. Darüber freue ich mich sehr. Und ingesamt hatten wir mit dieser Schule großes Glück, weil sie pädagogisch so wertvoll ist und wirklich auf der Höhe der Zeit. Sie wird oft als Vorbildschule herangezogen. Es gibt dort das Schulfach „Herausforderung“, dabei lernen die Kinder stark, in der Gruppe zu handeln und Eigenverantwortung zu übernehmen sowie Verantwortung für die anderen Gruppenmitgliedern.
Konstant gut war die Anbindung von Charlotte UND Doro an den Kreuzberger Kinderzirkus, bei dem es allerdings auch Sezessionsbewegungen gab. Damals wurde ein neuer Verein „Vüsch e. V.“ gegründet (Verein zur Überwindung der Schwerkraft), aber alle Fliehkraft-Tendenzen innerhalb der Zirkusvereine wurden ausgetragen, ohne dass die Kinder zu Schaden kamen oder zu kurz gekommen wären. Das ist beachtlich und ein kleines Wunder. Es kam dann das internationale Zirkusfestival auf dem Tempelhofer Flugahfengelände hinzu, für das wir oft Zirkuwgäste bei uns einquartierten, und die vielen Freizeiten in dem wundervollen Reichenow, wo der Zirkus einen großen Hof mit großer Scheune als Auftrittsort und vielen Übernachtungsmöglichkeiten in traumhafter Umgebung hat, ein wahres Paradies. Bis heute haben unsere Kinder hier vielfältige Freundschaften und Beziehungen und sind oft dort. Ein Glück!
Doro´hatte – auch durch die traumatische Erfahrung mit dem Wiskey in der U-Bahn – immer eine Abneigung gegen Alkohol und gegen Rauchen. Erst in allerletzter Zeit habe ich sie rauchen gesehen, vielleicht hat sie mit 18, 19 oder 20 damit angefangen, ich weiß es nicht und hoffe, dass sie bald wieder aufhört. Auch hat sie ihre Alkohol-Abneigung m. E. in ein Alltagsverhältnis zu Alkohol eingetauscht, aber ohne jeglichen Missbrauch.
Charlotte hatte eine Zeitlang Alkohol und Haschisch ausprobiert – vielleicht auch mehr, das weiß ich nicht. Aber es ist gottseidank alles ohne größere Ausreißer geschehen. Leider rauchte sie noch längere Zeit Zigaretten, ich bin sehr froh dass sie dann damit aufgehört hat. Ich hatte mit 30 Jahren das Rauchen aufgehört, weil ich ja immer im Leben hatte Kinder bekommen wollen. Davor hatte ich oft probiert, aufzuhören, aber in der damaligen sozialen Situation war es quasi für politisch interessierte Menschen oder auch überhaupt nur sozial lebende Menschen fast unmöglich, NICHT zu rauchen! Überall wurde geraucht! In den Gremien, lange Zeit sogar noch in der U-Bahn und auch auf dem Oberdeck der Busse, auf der Arbeit, im Kino – man rauchte wirklich fast überall, und daher fing ich immer wieder bald mit dem Rauchen an, weil man den Gestank eigentlich nur als selbst aktiver Raucher ausgehalten hat. Aber mit 30 Jahren machte ich Schluss, so wie ich mir das vorgenommen hatte.Charlotte war nach ihrem (guten bis sehr guten) Abitur ein Jahr arbeitend in der Welt unterwegs, und zwar genau VOR der Pandemie: in Marokko (als Deutschlehrerin), in Ghana (als Grundschullehrerin), und noch lange in Paris (in verschiedenen Jobs). So hat sie – zusammen mit ihrem Jahr in den USA in der 11. Klasse – perfekte Englisch- und Französisch-Kenntnisse, dazu noch Spanisch durch den langen Aufenthalt auf Fuertoventura während der Pandemie, als die Universität geschlossen war. Das ist wunderbar.
Doro machte nach ihrem (guten) Abitur ein soziales Jahr bei den „Prinzessinnengärten“ – das sind Gärten der Bürger-Garten-Bewegung, die seit ein paar Jahren virulent ist. Das hat ihr großen Spaß gemacht, und sie hat ein tolles Zeugnis darüber bekommen. Ich bin sehr glücklich darüber, dass beide Töchter so sozial und weltoffen, idealistisch und empathisch unterwegs sind. Und dass sie so selbstbewußt als Frauen sind, „ihr Ding“ machen und viele Freunde haben und ihre sozialen Beziehungen gut pflegen.
In der bisherigen Rückschau muss ich sagen, dass ich eines Tages mir eingestehen musste, dass ich in mehrfacher Hinsicht zum Mobbingopfer geworden bin, wogegen ich mich nicht wehren kann. Ich dachte immer, dass ich mich wehren kann, und dass ich da schon wieder rauskomme oder auch gar nicht erst reinkomme, aber eines Tages musste ich mir eingestehen, dass ich dem Mobbing fast nichts entgegen setzen konnte und kann, weil ich keinerlei wirksamen Support habe: nicht von Helmut, nicht von meinen Töchtern, von keinen bedeutenden Menschen. Es ist ein dreifaches Mobbing, getoppt noch – fast Scherz – von einem Mobbing der hiesigen Katzen, jedenfalls von einer, die mich anfaucht und auch mit Kratzen traktiert, wahrscheinlich noch aus der Zeit heraus, als ich den Hund hatte. Mittlerweile greift sie gottseidank ein klein wenig weniger an, also hier – aber auch nur hier, an dieser Katzenfront, ist eine kleine Besserung eingetreten. Hier meine drei Mobbing-Tatbestände:
1. Ich werde von einigen Menschen gezielt in der Stadt gemobbt. Das hatte mir Gerhard Hoya, der mich als
2.) Im Hause werde ich seit meinem Einzug etwa im Jahr 1992 oder 1993 gemobbt. Das sind Zettel am Schwarzen Brett, die herabsetzend, außerdem die Tatsache, dass kein einziger Vorschlag von mir aufgegriffen wird, dass ich in der Regel keine Antwort auf meine Mails bekomme
3.) In meiner eigenen Familie werde ich gemieden, das ist auch Mobbing. Ich werde nicht einbezogen, nicht informiert.
Ich bin Annette Ohne „Sie“
Und speaking english, feeling free
Wie Rußland, Schweden, USA:
Die kommen gut „mit ohne“ klar
Ich bin Annette Ohne Hand
Ein Lächeln ist doch auch charmant!
So komme ich in keine Not
wenn einer blöd zu kommen droht
Ich bin Annette Ohne Land
Kein Job, kein Ehr, kein Geld, kein Amt
Ich wurde zack hinweggemobbt
An meiner Stell ein andrer hockt
Die Stadt vermisst mich, das ist klar!
und ich vermiss die Stadt fürwahr
Somit ist niemandem gedient
nur einem, der sich einen grient
Der heißt Gerd Hoya, unbekannt
Hat kein Talent, doch Ehr und Amt
So sitz ich stumm, das soll so sein
Und misch mich fast nirgends mehr ein
Geholfen ist so niemand nicht
Ist keiner da der für mich ficht???
Nicht Mann, nicht Frau, nicht Kind, nicht Gott
Nein, selber schuld! und Hohn und Spott!
Brennt noch wo Licht?
– Ich weiß es nicht
Vielleicht gibt’s einen Weg zurück?
Kommt Zeit, kommt Rat, kommt Tat, kommt Glück
Nun habe ich noch nicht ganz 50 Seiten geschafft, werde aber bei nächster Gelegenheit weiterschreiben …
Berlin, im November 2023. Mit kleinen Änderungen und Korrekturen heute,am 8. Februar – dem Geburtstag meiner Schwester Ulrike (sie wird heute 70 Jahre alt) veröffentlicht